Das Areal innerhalb der Mauer um den Kirchhof der romanischen Kirche Gruitens gibt seine Geheimnisse nur zögernd preis. Im Jahre 2013 haben zwei Ereignisse – die archäologischen Funde bei der Grabung am erhalten gebliebenen Turm der alten Kirche und ein glücklicher Dachbodenfund von Dokumenten, die bis zum Ende des Dreißigjährigen Kriegs zurückreichen – neue Fragen aufgeworfen, aber auch neue Quellen für Antworten auf bisher unbeantwortete Fragen zu Tage gefördert. Nachstehend einige Beispiele.

Fundamentstreifen, die nicht zur alten Kirche gehören. Stand hier das Beinhaus?

Beim Ausheben des Drainagegrabens wurden zwei Fundamentstreifen gefunden, die aus der Zeit nach dem Bau des Kirchturms stammen1 und auf ein historisches Gebäude hinweisen, das bis ins 17./18. Jahrhundert direkt an der Südseite des Kirchturms gestanden haben könnte.2 Dafür, dass es innerhalb der Kirchhofsmauer nicht nur die alte Kirche, sondern noch ein anderes Gebäude gegeben hat, gab es zum Fundzeitpunkt lediglich Kenntnis durch eine Gräberliste aus der Zeit vor oder um 17953, in der zwei Grabstellen mit einer Abstandsangabe zu einem Beinhaus (Gebäude zur Aufbewahrung von Skelettteilen aus wiederbelegten Gräbern) aufgeführt sind4. In der Kirchenchronik findet sich die Eintragung, dass 1735 auf dem Kirchhof ein neues Beinhaus gebaut worden ist, ohne den genauen Standort zu erwähnen.5 Für die Existenz eines Beinhauses im 17. Jahrhundert gibt es durch den Dachbodenfund6 inzwischen schriftliche Beweise7. Den ältesten Beweis liefert die Aufzeichnung über Verzehrkosten, die bei der Auftragsvergabe für das Decken des Beinhausdaches entstanden sind; sie lautet: 1649 den 20 8ber alß beußenbergh daß beinhauß dem leydecker Zu gerßheim verdingten Zu decken damalß VerZert 8 alb[us]8. Zum Bau des Beinhauses enthalten die Aufzeichnungen aus dieser Zeit keine Hinweise, sodass es 1649 vermutlich bereits so alt war, dass das Dach repariert oder erneuert werden musste.

Den Standort des Beinhauses aus den Angaben der Gräberliste eindeutig abzuleiten, ist bisher nicht gelungen. Eine Zeichnung, die den Standort zeigt, ist nicht bekannt. Eine schematische Zeichnung aus dem Jahr 1807, die die Lage der Kirche innerhalb der Kirchhofsmauer in vereinfachter Form wiedergibt9 enthält keinen Hinweis auf ein Beinhaus, sodass sie den archäologischen Befund, dass es längstens bis ins 18. Jahrhundert bestanden haben kann, stützen könnte. Die Zeichnung erweckt allerdings den Anschein, dass der Friedhof auf der Nordseite der Kirche lag, sodass das Beinhaus ebenfalls auf dieser Seite gestanden haben müsste, damit die Abstandsangaben der beiden Grabstellen in der Gräberliste sinnvoll würden. Das widerspräche aber der Lage des Beinhauses auf der Südseite des Turms, dort, wo die Fundamentstreifen gefunden wurden. Der Widerspruch wird jedoch durch ein im Zusammenhang mit der Zeichnung stehendes Dokument aufgehoben, das die Empfehlung enthält, der Behörde, die damals die Aufgabe des Friedhofs verlangt hatte, vorzuschlagen, ihn – wenn erforderlich – hinter die Kirche zu verlegen und dabei darauf hinzuweisen, dass die Kirche auf der Nordseite keine Türen habe, sodass er ganz dem Gesicht von jedem ohne Unterschied verborgen liege.10 Gemeint ist damit wohl, dass angeboten werden solle, künftig nur noch auf der Nordseite der Kirche zu beerdigen, die vom Zugang zur Kirche von der Südseite nicht einsehbar war, wenn die Behörde trotz eines vorhandenen entlastenden Gutachtens11 auf einer Verlegung des Friedhofs beharren sollte.12 Daraus ist zu schließen, dass sich auch schon zu dieser Zeit (wie noch heute) Grabstellen auf der Südseite der Kirche befanden, sodass sich die Abstandsangaben in der Gräberliste durchaus auf ein Beinhaus an der Südseite des Turmes beziehen können. Untermauert wird dies durch folgende Passage einer Begräbnisordnung von 1838: Mitten auf dem Gottesacker steht die katholische Kirche, von welcher die Todten in einer Entfernung von circa 22 Fuß auf einem Flächenraum von stark 1/4 Morgen bis dahin beerdigt wurden, und auch in Zukunft ins Grab gesenkt werden sollen.13 Die darin enthaltene Flächenangabe deckt sich ziemlich genau mit der, die in der Zeichnung von 1807 angegeben wurde (Beerdigungsplatz 1/4 Morgen groß), und die Abstandsabgabe circa 22 Fuß ist in beiden Quellen identisch. Diese Übereinstimmungen sprechen gegen gravierende Veränderung des Beerdigungplatzes in der Zeit von 1807 bis 1838. Die Annahme, dass auch 1807 der Friedhof um die Kirche herum gelegen hat, sich die Gräber also nicht nur auf einer Seite der Kirche befunden haben, ist deshalb sehr wahrscheinlich. Die Aussage von 1807, dass die alte Kirche auf der Nordseite keine Türen hatte, die auch durch die Grundrisszeichnungen von G.A. Fischer aus der Zeit um 1875 bestätigt wird, schafft noch mehr Klarheit. Denn dadurch führen die Angaben in der Gräberliste aus der Zeit um 1795 mit Sicherheit zu dem Schluss, dass es Grabstellen auf der Südseite der Kirche gegeben hat. Ein Grab ist ausdrücklich mit einer Abstandsangabe Von der Kirch Thörren verzeichnet.14 Eine weitere Bestätigung stammt aus dem Jahre 1874, als die reformierte Kirchengemeinde gegen den damaligen (nicht verwirklichten) Plan protestierte, an der Südseite der alten Kirche ein größeres Schiff anzubauen. Die Begründung lautete, dass an dieser Seite gerade viele evang. Gruften [liegen], die dann aufgedeckt u[nd] durchwühlt werden würden15. Bei den Gruften handelte es sich um „Erbgräber“, die bereits in der Gräberliste aus der Zeit um 1795 erwähnt sind.

Die bisher bekannten Quellen sprechen also dafür, dass das Beinhaus an der Südseite des Turmes gestanden haben kann.

Aus der Lage der Fundamentstreifen ist zu erkennen, dass das Gebäude etwa die Breite der Südseite des Kirchturmes hatte. Zur Ausdehnung nach Süden hat der Erdaushub für den Drainagegraben jedoch keine schlüssigen Ergebnisse liefern können, weil der Graben nicht breit genug war, um die Fundamentstreifen in voller Länge freizulegen. Erst als ein Kanal für Elektrokabel rund 2,5 bis 3 m südlich des Turms angelegt wurde, ergaben sich Hinweise dafür, dass der Fundamentstreifen an der Südostecke des Turmes wahrscheinlich ca. 2,6 m lang ist. Da es jedoch keine Anhaltspunkte für eine Verbindung zwischen den beiden Fundamentstreifen als Unterbau für die Südwand des Gebäudes gibt, muss in Betracht gezogen werden, dass sie ursprünglich länger gewesen sein können und der südliche Teil des Fundaments nach der Aufgabe des Beinhauses abgetragen worden sein könnte, z.B. um Platz für neue Grabstellen zu schaffen. Sehr viel länger als 2,6 m werden die Fundamentstreifen aber nicht gewesen sein, sonst wären sie in dem zur Kirchhofsmauer-Treppe abfallenden Gelände „aus der Erde gewachsen“. Vermutlich haben sie eine Länge von ca. 3,0 bis 3,6 m (10 bis 12 Fuß) nicht überschritten. Damit ergäben sich Außenmaße von max. ca. 5,2 x 3,6 m, was unter Berücksichtigung von Mauern mit einer angenommenen Stärke von 2 Fuß (ca. 0,6 m) einem Innenraum von ca. 4 x 3 m = ca. 12 m2 Größe entsprechen würde. Für ein Beinhaus könnte auch eine etwas geringere Größe noch ausreichend gewesen sein. Zum Vergleich: Der ebenerdige Raum im Turm ist knapp 10 m2 groß.

Als Restunsicherheit, ob das Beinhaus wirklich an der Südseite des Turmes gestanden hat, bleibt aber auch nach den neuen Erkenntnissen, dass die gefundenen Fundamentstreifen mit einer Breite von bis zum 0,8 m für ein relativ kleines Beinhaus eigentlich zu mächtig sind.

Verwirrung um die Taufsteine

In einer 1894 von Paul Clemen veröffentlichten Beschreibung der alten Nikolaus-Kirche ist zu lesen: Der achtseitige, ganz formlose Taufstein des 12. Jh. auf dem Kirchhofe.16 Von diesem Taufstein fehlt bisher jede Spur. Im Turm steht aber ein relativ kleiner, nicht achtseitiger, sondern runder Taufstein, an dem rund 30 Jahre lang bis 2014 ein Schild mit der Angabe „Taufstein aus der alten Pfarrkirche Ende 11. Jahrhundert“ angebracht war. Auch dieser Taufstein hat lange Zeit im Freien vor dem alten Kirchturm gestanden. 1981 wurde er auf ein schmiedeeisernes Gestell gesetzt und erhielt einen Platz im Turmraum, der als Friedhofskapelle hergerichtet worden war.

In dem 1970 erschienenen Buch von Fritz Breidbach finden sich folgende Informationen: Der alte, formlose Taufstein mit dem Christusmonogramm wurde weiterhin nicht mehr benutzt. Man gab ihm auf dem Friedhof neben dem Aufgang zum Turm einen Ruheplatz, gleich den Toten, die im Laufe der Jahrhunderte als Kinder die Taufe an ihm empfangen hatten.17 Breidbach, der die Veröffentlichung von 1894 kannte, geht auf den Unterschied zwischen dem rundem und dem achtseitigen Taufstein nicht ein, verwendet gar keine Formbezeichnung, sondern nennt den von ihm gemeinten Taufstein nur formlos, wie es 1894 aber auch von dem achtseitigen heißt. Seine Formulierung, dass der Taufstein weiterhin nicht mehr benutzt wurde, verleitet wegen des weiterhin ebenfalls dazu, eher an den achtseitigen als an den runden Taufstein zu denken. Trotzdem ist davon auszugehen, dass er den heute noch vorhandenen runden Taufstein meint, denn nur von diesem ist bekannt, dass er im Beckenboden ein Christusmonogramm hat.

1987 erschien dann das Buch von Harro Vollmar über die frühe Geschichte von Haan und Gruiten, in dem zu lesen ist: Ein schlichtes Taufbecken aus dem 12. Jahrhundert. Es stand lange Zeit auf dem Friedhof neben dem stehengebliebenen alten Kirchturm, wurde glücklicherweise währenddessen nicht gestohlen und ist heute in der kleinen Halle im Turm abgestellt. Über die Jahrhunderte hinweg sind viele Generationen Gruitener Kinder darin getauft worden, aber den Weg in die neue Kirche hat das ehrwürdige alte Taufbecken nicht gefunden. Zum ersten Satz mit der Altersangabe verweist Vollmar in einer Anmerkung auf Clemen, der aber den achtseitigen Taufstein erwähnt, zur Einleitung des folgenden Satzes auf Breidbach, der jedoch nicht den achtseitigen, sondern den runden behandelt. Vollmar ist also wohl – vielleicht von den oben geschilderten Missverständlichkeiten bei Breidbach – dazu verleitet worden, Aussagen über zwei verschiedene Taufsteine zu verschmelzen. Das bestätigt auch ein Blick auf die bei Vollmar dem Text gegenüberstehende Abbildung des runden Taufsteins mit folgender Bildunterschrift: Taufbecken des 12. Jahrhunderts von Gruiten, abgestellt in der Turmhalle der alten Gruitener Kirche auf dem Friedhof nördlich oberhalb des Dorfes. Christogramm im Beckengrund.18

Was kann man nach heutigem Kenntnisstand dazu sagen?

Erstens: Für den 1894 erwähnten achtseitigen Taufstein gibt es keinen sicheren Nachweis. Es ist kein Dokument bekannt, in dem ein achtseitiger Taufstein erwähnt ist, und auch kein Foto, auf dem er abgebildet ist. Ob Clemen ihn mit eigenen Augen gesehen hat, ist nicht belegt. Eine unbedingte Notwendigkeit, die alte Gruitener Kirche selbst in Augenschein zu nehmen, bestand für Clemen wohl nicht, denn er hatte mit Gerhard August Fischer einen exzellenten Kenner der alten Gruitener Kirche als Informanten. Clemen hat in seinem Buch von 1894 ausschließlich von Fischer stammende Abbildungen zu dieser Kirche verwendet.19 Fischer kannte die Kirche und das Areal innerhalb der Kirchhofsmauer aus eigener Anschauung sehr gut, weil er sich in den frühen 1870er Jahren intensiv mit der Frage beschäftigt hatte, wie die alte Kirche erweitert werden könnte. (Der Bau einer neuen Kirche an anderer Stelle, wie er durch Fischer 1877-79 erfolgte, war nämlich zunächst überhaupt nicht vorgesehen.) Fischers Pläne mit mehreren Varianten zur Erweiterung der alten Kirche sind 2013 wiederentdeckt worden und im Archiv der Gruitener Kirchengemeinde St. Nikolaus vorhanden. In einer dieser Zeichnungen ist der Standort eines runden Taufsteins an der Turmseite des Kirchenschiffs eingezeichnet. Der achtseitige, außerhalb der Kirche stehende Taufstein findet sich dagegen in keiner Zeichnung; er spielte in Bauzeichnungen natürlich auch keine Rolle. Ob die Angaben über den achtseitigen Taufstein bei Clemen trotzdem auf Fischer zurückgehen, ist nicht sicher, aber möglich. Dass der runde Taufstein bei Clemen gar nicht erwähnt ist, könnte damit erklärt werden, dass zwischen dem Ende von Fischers Tätigkeit in Gruiten (Fertigstellung der neuen Kirche 1879) und dem Erscheinen von Clemens Buch 15 Jahre liegen, sodass Fischer wahrscheinlich nicht wusste, ob dieser Taufstein, der ja nach Breidbach (s.o.) nicht in die neue Kirche übernommen worden war, überhaupt noch existierte.

Zweitens: Der Dachbodenfund enthält einen Beleg von 1661 für zwei Taufsteine, nämlich für einen, der geborsten war und deshalb aus der Kirche geschafft und für einen, der genau zu diesem Zeitpunkt neu gehauen und in der alten Kirche an einem neuen Ort aufgestellt worden ist. Der Text des Dokuments beginnt so: 1661 – Meister niclaß scholl, von rattingen, welchen der H[err] pastor mitt einem Knecht zu arbeiden ihn [=in] die Kirch geschickt, demselben, daß er den geborsten Dauffstein auß der Kirchen arbeiden, Vnd wiederumb einen newen stein gehauwen vnd auff ein new orth gesetzt, wie auch daß er den vffsatz deß altarß mitt zween eiseren ronden befestigett, welcheß geschehen vff gruenenn donnerstagh vnd guten freitagh […].20 Der ältere Taufstein war also geborsten. Das trifft auf den heute noch vorhandenen runden Taufstein nicht zu. Vorausgesetzt, dass es sich bei diesem um den 1661 genannten neuen Taufstein handelt (und nicht um einen anderen, ebenfalls runden), kann er also nicht aus dem 12. Jahrhundert stammen, sondern muss über 460 Jahre jünger sein. Dafür spricht auch, dass er ein so kleines Becken hat, dass eine Verwendung als Taufstein im hohen Mittelalter nahezu ausgeschlossen ist. Der 1661 ausrangierte, geborstene Taufstein könnte dagegen der 1894 erwähnte achtseitige gewesen sein, der sich aus Mangel an anderweitiger Verwendung (geborsten) noch gut 200 Jahre im Umfeld der Kirche erhalten hat. Ein Taufstein dieser Art steht heute noch in der Nachbarkirche in Schöller und gilt als aus dem 13. Jahrhundert stammend.21 Sollte die alte Kirche St. Nikolaus tatsächlich bereits im 12. Jahrhundert einen Taufstein gehabt haben (z.B. den bei Clemen erwähnten achtseitigen), wäre dies ein starkes Indiz dafür, dass die Kirche zu dieser frühen Zeit bereits eine Taufkirche oder Taufkapelle war, wenn auch – nach allem, was bekannt ist – noch keine Pfarrkirche. Für die Angabe Taufstein des 12. Jh. gibt es bei Clemen – ebenso wie für die Altersbestimmung der Kirche (In der 2. H. des 11. Jh.) – keine Begründung. Ob sie von Fischer stammen können, ist zweifelhaft. Zum achtseitigen Taufstein ist keine Äußerung von Fischer bekannt. Zum Alter der Kirche lautet Fischers einzige bekannte Aussage aus dem Jahre 1874: Die alte katholische Kirche in Gruiten ist ein romanisches Bauwerk, welches,[…], im 12ten Jahrhundert erbaut sein mag,[…]22 Wenn Fischer seine Einschätzung in den 20 Jahren bis zum Erscheinen des Buchs nicht geändert hat, ließe sich die Altersangabe zur Kirche bei Clemen nicht auf Fischer zurückführen, allenfalls die zum achtseitigen Taufstein, wenn man unterstellt, dass er annahm, die Kirche habe von Anfang an einen solchen gehabt.

Seit wann wussten die Gruitener, was die Stunde geschlagen hatte?

Wer den Turm der alten St. Nikolauskirche betrachtet, findet an ihm keine Stelle, die darauf hindeutet, dass er einstmals eine Turmuhr getragen hat. Aber die Chronik der katholischen Kirchengemeinde enthält folgende Information: Die Kirche erhielt […] mancherlei Zuwendungen seitens der Abtissin in Graefrath. So schenkte dieselbe […] 1735 eine Thurmuhr, welche man aber, weil sie zu schwach war, gegen eine stärkere umtauschte; das dazu nöthige Geld wurde in der Gemeinde gesammelt, wobei auch die Protestanten gern und reichlich beitrugen.23 Bisher war deshalb davon auszugehen, dass das die erste öffentliche Uhr war, nach der sich die Gruitener aller Konfessionen richteten. Im Dachbodenfund sind aber Informationen enthalten, die zeigen, dass bereits früher ein Uhrwerk in der alten Kirche vorhanden war. Eine Anweisung des damaligen Pastors an den Küster lautet nämlich: offermann [Küster] wolle dießem Meister gerhard daß vhrwerck außeinander Zu schlagen gestatten[.] solches a[nn]o 1661 den 15 februarij Theo[dor] frechen pastor in gruten. Darunter folgt: Daß außgeschlagene vhrwerck kan gesetz werden gleich oben den hohen altar[.] weiß kein bequemer platz[.]24 In einem anderen Dokument aus dem Dachbodenfund ist die Aufzeichnung über den Lohn, der dafür gezahlt worden ist, enthalten: Den 15 Febru: 1661 […] daß vhrwerck außein ander zu schlagen meister gerdt geben 24 alb[us] coelsch.25 Dass ein offensichtlich großes Uhrwerk zu einem anderen Zweck als dem Betreiben einer Turmuhr gedient haben soll, ist schwer vorstellbar. Und als es 1661 auseinander geschlagen wurde, wird es wohl nicht mehr neu gewesen sein. Deshalb kann man mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass die Gruitener spätestens im 17. Jahrhundert wussten, was die Stunde geschlagen hatte.26  

[Links zu: RP, 24.3.2016Haaner Treff, 30.12.2015Haaner Stadtmagazin, Dez. 2016, S.13]

Pastoren wurden in der Kirche begraben, aber auch eine Frau!

Im Fußboden des alten Turms liegen große Grabplatten zweier Priester, wie aus den darauf abgebildeten Symbolen (u.a. jeweils ein Kelch mit Hostie) erkennbar ist. Beim Abriss des Kirchenschiffes 1895 wurden sie von dort in den Turm verlegt.

Auf der etwas jüngeren ist die Schrift so gut wie unlesbar. Nur die ersten drei Ziffern einer Jahreszahl sind mit einiger Sicherheit zu erkennen, aus denen sich aber schließen lässt, dass die Grabplatte zu einem Todesfall aus dem ersten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts gehört. In dieser Zeit ist Pastor Ruttgerus gestorben, nämlich 1715. Deshalb handelt es sich sehr wahrscheinlich um die Platte, die ursprünglich auf seinem Grab in der Kirche gelegen hat.27

Die ältere Grabplatte ist besser erhalten. Die rekonstruierte Inschrift lautet auszugsweise: ANNO 1696 14 JAN OBIIT […] DOMINVS THEODORVS FRECHEN CHRISTIANITATIS DVSSELDORPENSIS CAMERARIVS ET PAROCHIAE GREVTENSIS PASTOR […]. Im Kirchenbuch, das von Pastor Frechen bei seinem Amtsantritt 1658 selbst angelegt worden war und mit dem in Gruiten überhaupt erst systematische Aufzeichnungen von Taufen, Eheschließungen und Beerdigungen begonnen hatten, ist sein Tod nicht verzeichnet. Erhalten hat sich aber ein vier Tage nach seinem Tod geschriebenes Dokument über seinen Nachlass, nach dessen Inhalt die unleserlichen Teile der Grabplatten-Inschrift ergänzt werden konnten.28 Der Dachbodenfund enthält eine weitere zeitnahe Quelle, in der es heißt: Der abgelebter H[err] pastor Theodorus Frechen, welcher den 14. Januarii 1696 ist gestorben, […].29

Priester nicht auf dem Friedhof, sondern in der Kirche zu bestatten, war in früherer Zeit nicht nur in Gruiten üblich. In Gruiten war Pastor Pletz, der am 24.3.1781 gestorben ist, der letzte Pastor, welcher der alten Sitte gemäß auf dem Chor der Kirche begraben wurde.30 Von ihm ist keine Grabplatte bekannt.

Auch Grablegen für Fürstenhäuser waren in (bedeutenden) Kirchen üblich.31 Aber dass einer nichtadeligen Frau die Ehre einer Bestattung in der Kirche zuteil wurde, ist eine Besonderheit. In Gruiten hat es 1685 einen solchen Fall gegeben. Die lateinische Eintragung im Kirchenbuch lässt kaum Raum für Zweifel.32 Sie lautet verkürzt, aber sinngemäß wiedergegeben etwa: Im Jahre 1685 am 4. Februar ist gestorben die vornehme, ehrenwerte Herrin Anna Petronella Vleschoudre, vormals Gattin des hochverehrten Herrn Johann Christian Widenfeldt, des Herrn des Gutes Zum Dieck [Haan] und des Prätors der Grundherrschaft des durchlauchtigsten Fürsten, Kurfürsten usw. des Erzbistums Köln in Hilden und Haan, mit dem sie in wahrhaft vorbildlicher Ehe gelebt hat, weswegen sie vor dem aufgerichteten Kruzifix33 in der Kirche beigesetzt worden ist.34 Im Dachbodenfund findet sich der Vermerk, dass der Witwer aus Anlass des Todes seiner Frau einen Leuchter für die Kirche gestiftet hat.35 Es scheint kein besonders großer Leuchter gewesen zu sein, denn es ist von nur gut 1 ½ Pfund Wachs die Rede, die für die Kerze(n) des Leuchters gebraucht wurden.36 Aber vielleicht lag der Wert ja im Material des Leuchters, worüber die Quelle jedoch keine Angaben enthält.

Interessanter ist die Frage, wieso es zu dieser Bestattung in der Kirche gekommen ist. Die Quellen schweigen sich darüber aus, aber es gibt einige Ansatzpunkte, die zu einer Antwort führen können. Gruiten war zu dieser Zeit fast vollständig reformiert. Die reformierte Gemeinde hatte sich 1675 endgültig konstituiert, einen eigenen Prediger angestellt und 1682 gegen den Widerstand des katholischen Pastors ein Predigthaus erbaut. Die katholische Gemeinde war unbedeutend klein, hatte aber einen streitbaren Pfarrherrn, dem es offenbar gelang, bedeutende Katholiken aus der Nachbarschaft, die in Orten lebten, die keine katholische Gemeinde mehr hatten, an seine Kirche zu binden, um so den Bestand seiner Gemeinde gegen die Überzahl der Reformierten zu sichern. Neben dem Haus Schöller, das nach längerer reformierter Tradition durch Einheirat katholisch geworden war, gehörte Wiedenfeldt, seit 1678 Schultheiß des Erzbistums Köln für Hilden und Haan37, zu den wichtigen Stützen. Vom Haus Schöller sind im Taufbuch 1667 und 1670 zwei Töchter – mit umfangreichen Eintragungen, die sich wie das Who’s who des regionalen Adels lesen – verzeichnet. Und von Widenfeldts Kindern sind 14 aus zwei Ehen in der Zeit von 1678 bis 1708 in Gruiten getauft worden.38 Zusammen mit dem Gräfrather Stift, das das Besetzungsrecht für die Pfarre innehatte, ergaben diese Verbindungen ein Bollwerk, das den Bestand der katholischen Gemeinde in schwieriger Zeit sichern konnte. Es liegt deshalb nahe, dass der damalige katholische Pastor Frechen die herausgehobene Bestattung der ersten Frau Widenfeldts in der Kirche als Anerkennung für Widenfeldts Unterstützung oder als Möglichkeit einer dauerhaften, engen Bindung Widenfeldts an seine Gemeinde gesehen hat.

Lothar Weller / 2016 (Text und Foto), Anm. 20 erweitert: 8.1.2024.

1 ABS Gesellschaft für Archäologische Baugrund-Sanierung mbH, Abschlussbericht zur archäologischen Baubegleitung OV 2013/1030 vom Oktober 2013: 2.3 Fundamentreste eines mutmaßlichen Beinhauses. Im südlichen Abschnitt des Drainagegrabens fanden sich zwei mit bis zu 0,06 m breiten Stoßfugen an den Turm angesetzte, Nord-Süd verlaufende und bis zu 0,8 m breite Bruchsteinfundamente […].

2 ABS (wie Anm. 1): Von archäologischer Seite kann festgehalten werden, dass das Gebäude im Verlauf des 17./18 Jahrhunderts niedergelegt worden ist. Hierfür sprechen Scherben niederrheinischer Irdenware, die im Abbruchschutt des Gebäudes enthalten waren.

3 Archiv der Ev.-Ref. Kirchengemeinde Gruiten, Akte II Bf. Es sind drei leicht voneinander abweichende Fassungen der Liste vorhanden, von denen eine das Datum grut[en] den 29t Mertz 1795 trägt, die zweite undatiert ist und die dritte nach dem hinzugefügten Beglaubigungsvermerk des damals amtierenden Pfarrers am 21.10.1842 erstellt worden ist. Diese dritte Fassung enthält am Ende der Liste kein Datum, ist deshalb wahrscheinlich anhand der undatierten Vorlage erstellt worden. – Fritz Breidbach (wie Anm. 17) erwähnt das Beinhaus (S. 57) ohne Hinweis auf eine Quelle.

4 Archiv der Ev.-Ref. Kirchengemeinde Gruiten, Akte II Bf (wie Anm. 3): Grose Dösell 3 Mahl Vom BeinHauß an alle Mahl 21 fuß und Döselberg Vom Bein Hauß 23 fuß.

5 Archiv der Kirchengemeinde St. Nikolaus Gruiten, Chronik II (geschrieben zw. 1894 und 1915), S. 25.

6 Archiv der Kirchengemeinde St. Nikolaus Gruiten, „Souvignier-Zebunke-Fund“ (unter dieser Bezeichnung wurde der Dachbodenfund dem Archiv hinzugefügt).

7 Archiv St. Nikolaus (wie Anm. 6), Abrechnung des Kirchmeisters Merten Bäusenberg für die Zeit von 1640 bis 1658, Abrechnung für die Jahre 1660 bis 1663 und Dokument vom 14.4.1661. In der Zeit von 1649 bis 1661 kommt die Bezeichnung beinHauß viermal und die Bezeichnung liechHauß zweimal vor.

8 Archiv St. Nikolaus (wie Anm. 6), Abrechnung des Kirchmeisters Merten Bäusenberg für die Zeit von 1640 bis 1658.

9 Archiv der Ev.-Ref. Kirchengemeinde Gruiten, Akte II Bf, Dok. Nr. 1B.

10 Archiv der Ev.-Ref. Kirchengemeinde Gruiten, Akte II Bf, Dok. o. Nr. (Beilage zu Nr. 1A und 1B).

11 Archiv der Ev.-Ref. Kirchengemeinde Gruiten, Akte II Bf, Dok. Nr. 1A.

12 Gutachten, Zeichnung und Dokument mit der Empfehlung gehören zu einem Vorgang, der die in der napoleonischen Ära (Großherzogtum Berg) ergangene Anordnung betrifft, nur Friedhöfe außerhalb der Wohnbebauung zu erlauben, innerhalb der Wohnbebauung bestehende zu schließen.

13 Archiv der Ev.-Ref. Kirchengemeinde Gruiten, Akte II Bf, 1838 genehmigte Begräbnisordnung, § 3.

14 Archiv der Ev.-Ref. Kirchengemeinde Gruiten, Akte II Bf (wie Anm. 3): Hermgesberg 24 fuß Von der Kirch Thörren an.

15 Archiv der Ev.-Ref. Kirchengemeinde Gruiten, Akte II Bf o. Nr. (Schreiben vom 20.11.1874 an den Bürgermeister).

16 Paul Clemen (Hg.), Die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz, Bd. 3/II. Die Kunstdenkmäler der Städte Barmen, Elberfeld, Remscheid und der Kreise Lennep, Mettmann, Solingen. Düsseldorf 1894, S. 238 (66).

17 Fritz Breidbach, Gruiten. Die Geschichte eines Dorfes an der Düssel, Gruiten 1970, S. 18.

18 Harro Vollmar, Geschichte von Haan und Gruiten, Teil 1: Anfänge bis 1500, Haan 1987 (Schriftenreihe der Abteilung Haan des Bergischen Geschichtsvereins e.V., Bd. 5), S. 278 ff.

19 Clemen (wie Anm. 16), Vorbemerkung, Die Nr. 28 in der Aufzählung der von Fischer zur Verfügung gestellten Zeichnungen betrifft die Abbildungen zur alten Gruitener Kiche St. Nikolaus auf S. 237 (65).

20 Archiv St. Nikolaus (wie Anm. 6), Einzelstück aus dem Jahr 1661. (Außerdem enthält das älteste Kirchenbuch auf den Schlussseiten zwischen Eintragungen von 1660 und 1665 diesen Vermerk von der Hand Pastor Frechens: „Noch den Taufstein veränderen laß[en]“.)

21 Clemen (wie Anm. 16), S. 254 (82).

22 Archiv der Kirchengemeinde St. Nikolaus Gruiten, Akte 26, Erläuterungsbericht zum Neubau einer katholischen Kirche in Gruiten von G.A. Fischer vom November 1874.

23 Archiv der Kirchengemeinde St. Nikolaus Gruiten, Chronik II (geschrieben i.d. Zeit von 1894 bis 1915), S. 25.

24 Archiv St. Nikolaus (wie Anm. 6), Einzelstück aus dem Jahr 1661.

25 Archiv St. Nikolaus (wie Anm. 6), Abrechnung 1660-1663.

26 Auch von der Nachbarkirche in Schöller gibt es die Nachricht, dass sie spätestens 1684 ein Uhrwerk gehabt habe: Matthias Henrici, Aus der Geschichte der Gemeinde Schöller, in Monatshefte für Rheinische Kirchengeschichte, Heft August/September 1936, S. 225-288 (231).

27 Fritz Breidbach (wie Anm. 17) ordnet diese Grabplatte ohne jede Einschränkung Pastor Ruttgerus zu. Archiv St. Nikolaus (wie Anm. 21), S. 21 enthält folgende Aussage: Rüttgers starb am 23. Mai 1715 und wurde am 1. Juni in der Kirche vor dem Hochaltar begraben. Auch sein Leichenstein ist noch vorhanden und liegt im alten Kirchthurm.

28 Archiv der Kirchengemeinde St. Nikolaus Gruiten, Nachlass/Hinterlassenschaft Pastor Theodorus Frechen 18.1.1696.

29 Archiv St. Nikolaus (wie Anm. 6), Kirchenrechnung 1688-99 des Kirchmeisters Jakob Heidtmann, S. 14. (Sekundärquellen: Chronik I, S. 38: [Pastor Frechen] Verwechselte dann dies zeitliche mit dem ewigen im jahre 1696 den 14ten Januar […] (geschrieben i.d. Zeit von 1781 bis 1806); Chronik II (wie Anm. 22), S.20: [Pastor Frechen] starb am 14. Januar 1696 Abends gegen ½ 6 Uhr […]).

30 Archiv St. Nikolaus (wie Anm. 23), S. 30. An anderen Stellen dieser Quelle heißt es, dass Pastoren vor dem Hochaltar begraben wurden (z.B. S. 20: Pastor Frechen und S. 21: Pastor Rüttgers).

31 Auch in Gruitens unmittelbarer Nachbarschaft gibt es ein Beispiel dafür: Graf Adolf V. von Berg ist 1296, seine Ehefrau Elisabeth von Geldern 1313 in der Kirche des Damenstiftes Gräfrath bestattet worden.

32 Archiv der Kirchengemeinde St. Nikolaus Gruiten, Kirchenbuch 1658-1723, Beerdigungen 1659-1713.

33 Wahrscheinlich ist das sogenannte „Pestkreuz“ gemeint, dessen Korpus erhalten ist und in der neuen kath. Kirche Gruitens hängt. Wo es in der alten Kirche gestanden hat, ist nicht bekannt. Man darf aber annehmen, dass das Frauengrab nicht im Chor bei den Pastoren, sondern eher im Kirchenschiff angelegt worden ist.

34 Etwas veränderte Fassung auf Basis der Version von Günter Schruck, Kirchenbuch der katholischen Pfarrgemeinde St. Nikolaus zu Gruiten 1658-1723, o.O. 2002 (im Stadtarchiv Haan), Neufassung 2008 (nur als PDF-Datei auf CD herausgegeben), S. 30.

35 Archiv St. Nikolaus (wie Anm. 6), Kirchenrechnung 1680-88, S. 20: Den 18 martij 1685 hab ich […] wegen reparirung eineß leuchterß, welcher der H[err] weidenfeldt nach absterben seiner frawen in die Kirch hat verehret, bezahlt ad 8 alb[us].

36 Archiv St. Nikolaus (wie Anm. 6), Kirchenrechnung 1680-88, S. 5.

37 Manfred Baldus, Die katholische Pfarrgemeinde nach der Reformation, in: Haan. Werden und Wachsen einer bergischen Stadt, Haan 1959, S. 133-144 (135).

38 Archiv St. Nikolaus (wie Anm. 32), Taufen 1658-1723.