Eine alte Urkunde bestätigt eine uralte Gerichtsbezeichnung

Über mehr als ein halbes Jahrtausend ist sie (von kleineren Beschädigungen und den fehlenden Siegeln abgesehen) einigermaßen gut erhalten geblieben, und weil es darin um die Zusage von Zuwendungen an die Kirche zu Schöller geht, ist sie im Laufe der Jahrhunderte sicherheitshalber noch mindestens zweimal abgeschrieben worden; jedenfalls befinden sich im Alt-Archiv der Kirchengemeinde Schöller auch zwei historische Abschriften, die offenbar zu einer Zeit geschrieben wurden, als das Original noch unbeschädigt war, denn die Abschriften enthalten keine Textlücken.
Diese jetzt über 540 Jahre alte Urkunde von 1481 hat eine Bedeutung, die über ihre lokale hinausreicht und wahrscheinlich bis vor wenigen Jahren unerkannt geblieben ist: Sie gehört nämlich zu den ältesten Nachweisen dafür, dass das uralte Gericht Vierkapellen (benannt nach den Kirchorten Gruiten, Schöller, Düssel, Sonnborn) vom 15. Jahrhundert an auch als Landgericht Gräfrath bezeichnet wurde, denn die Scheffen [Schöffen] des Lantgerichtz zo greveraede (Abb. unten) haben ihr Siegel an die Urkunde gehängt.

Das Gericht Vierkapellen ist eine der ungewöhnlichsten juristischen Institutionen des späten Mittelalters, weil es seit dem 15. Jahrhundert gar nicht mehr im eigenen Gerichtsbezirk (Honschaften Gruiten, Obgruiten, Schöller, Unter- und Oberdüssel, Sonnborn), sondern nur noch außerhalb tagte, nämlich in Gräfrath, weswegen es dann auch Landgericht Gräfrath genannt wurde. Die frühesten bekannten Nachweise für diese Bezeichnung stammen aus den Jahren 1453 bis 1485. Dazu gehört nun auch die Urkunde von 1481 im Alt-Archiv Schöller.
Aber zurück zum eigentlichen Inhalt der Urkunde: Gerhard im Broick*) und seine Ehefrau Bele aus dem Kirchspiel Düssel versprechen für sich und ihre Erben, der Kirche zu Schöller von nun an jedes Jahr auf Christnacht (zu Weihnachten) auf ihre Kosten zwei Malter Hafer zu liefern. Zur Sicherheit dafür, dass sie pünktlich und dauerhaft liefern werden, verpfänden sie der Kirche zu Schöller zwei Kotten, In der Auen genannt, die der Kirche zu Schöller zufallen sollen, falls sie nicht oder nicht mehr pünktlich liefern sollten. Die Kotten sind abgabenfrei bis auf jährlich ein Huhn und sechs Pfennig sowie jährlich zwei Hühner und sechs Pfennig Zins an zwei Höfe in Aprath und Düssel.
Leider ist ein Grund für diese Schenkung einer jährlichen Erbrente von zwei Malter Hafer (die durch die Verpfändung von zwei Kotten gut abgesichert wurde!) aus der Urkunde nicht zu erkennen. Was hat die Hofbesitzer zur Schenkung veranlasst? Und wieso haben sie als Düsseler damit die Nachbarkirche zu Schöller und nicht die eigene Kirche zu Düssel bedacht? Die Antwort auf diese Fragen muss ich schuldig bleiben.
Lothar Weller / Stand 1.2.2023
*) Die historischen Abschriften der Urkunde sind auf der Rückseite jeweils mit dem Vermerk versehen, dass es sich um eine Erbrente des Guts Zum Hugenberch bzw. des Guts Zum Hugenbroch handelt. Der Hof Hugenbruch (heutige Schreibweise) lag in der Honschaft Oberdüssel und gehört inzwischen zu Wuppertal. Der niederbergische Heimatdichter Carl Schmachtenberg ist 1848 auf dem Hof Hugenbruch in Oberdüssel geboren worden und hat dort bis zu seinem Tod 1933 gelebt.
Anmerkung: Dies ist die kaum veränderte Fassung eines Artikels von mir, der 2021 im Gemeindebrief der reformierten Kirchengemeinde Gruiten-Schöller abgedruckt wurde.
Eine über 550 Jahre alte Urkunde im Alt-Archiv der Kirchengemeinde Schöller gibt Rätsel auf

Das Alt-Archiv der Gemeinde Schöller enthält eine gut erhaltene Pergamenturkunde aus dem Jahr 1454 (Abb. oben), also aus der Zeit vor der Reformation. Schon in den 1930er Jahren wurde sie in einem Zeitungsartikel als die älteste Urkunde im Schöllerschen Archiv erwähnt, ohne dass jedoch ein Zusammenhang mit der Gemeinde hergestellt wurde.
Das scheint auch nicht so einfach zu sein, denn Schöller wird darin nicht erwähnt, sondern ein gut He zo Lyntorp Jn vnse ampte van angermont geleigen, also ein Gut Lintorf im damaligen Amt Angermund. Das spricht dafür, dass es sich um ein Gut handelt, das im Bereich des heutigen Ratingen-Lintorf gelegen hat. Aber eine irgendwie geartete Verbindung zwischen Schöller und Lintorf ist bisher nicht bekannt. Wenn der frühere Schöllersche Pfarrer Henrici, der viel über die Geschichte Schöllers geschrieben und veröffentlicht hat, diese Urkunde kannte (wovon ich ausgehe), dann hat auch er sie nicht zuordnen können, denn — soweit ich sehe — wird sie von ihm nicht einmal erwähnt.
Die Urkunde, die 1454 in Düsseldorf erstellt und gesiegelt wurde, ist aber mit Sicherheit kein unbedeutendes Stück. Ganz im Gegenteil: Sie besagt nämlich, dass der damalige Herzog von Jülich und Berg dem Bräutigam der Tochter des verstorbenen Inhabers des Gutes das Gut vom Tage der Heirat an auf Lebenszeit überlässt, mit allen Freiheiten, damit zu tun und zu lassen, wie es dem verstorbenen Schwiegervater schon zugestanden habe. Einzige Voraussetzung: Er muss in den Diensten des Herzogs bleiben und ihm treu dienen.
Um vielleicht doch noch aufhellen zu können, wie und warum dieses „Hochzeitsgeschenk“ nach Schöller verschlagen worden ist und welche Geschichte dahinter steckt, habe ich Kontakt mit einem Verein in Lintorf aufgenommen, der sich intensiv mit der dortigen Ortsgeschichte beschäftigt. Dort war man völlig überrascht, von der uralten Urkunde in unserem Archiv zu hören. Auf Anhieb war bisher nicht einmal bekannt, dass es in alter Zeit ein Gut zo Lyntorp gegeben hat. Inzwischen sind in Lintorf die Recherchen nach dem Gut und den in der Urkunde erwähnten Personen, die im 15. Jahrhundert als herzogliche Vasallen mit dem Gut belehnt waren, angelaufen — und es gibt sogar schon eine erste vage Spur.
Die Namen in der Urkunde lauten: Leye van Doitzebergen o.ä. (Schwiegervater), Katheryna (syne Dochter, die Braut) und Claiff o.ä. Broeke, Broeße o.ä. (der Bräutigam). In einem Lintorfer Bruderschaftsbuch von 1470 wurde nun – das ist die vage Spur – die Eintragung Claes am Raem ind Kathryne syne huysfrauwe gefunden. Zwischen dem Datum der Urkunde (1454) und der Eintragung im Bruderschaftsbuch liegen nur 16 Jahre. Ob mit dem dort genannten Hof am Raem, der heute noch in Lintorf existierende Rahmer-Hof gemeint ist, und der das gut He zo Lyntorp, wie es in der Urkunde ohne konkrete Namensnennung des Hofes genannt wird, sein könnte, wird nun untersucht.
Lothar Weller, Stand 5.10.2022
Die älteste Ansicht von Kirche und Haus Schöller

Manchmal bin ich in Versuchung, zu denken: „Wie gut, dass es zu allen Zeiten Streit und Zwistigkeiten gab, denn ohne sie wüssten wir über die alten Zeiten sehr viel weniger“. So ist es z.B. mit der obigen Abbildung aus dem Jahre 1671. Angefertigt wurde sie nämlich, weil es Streit gab, sonst hätte es gar keinen Grund gegeben, die Kirche und das Haus Schöller so zu zeichnen. Und weil die Zeichnung zu den Unterlagen einer Auseinandersetzung zwischen der Kirchengemeinde und der Herrschaft zu Schöller gehörte, ist sie auch gut erhalten geblieben.
Schon Fritz Breidbach hat zwar diese alte Ansicht gekannt und in seinem Gruiten-Buch 19701 auch verwendet, aber noch über 20 Jahre später schrieb Florian Speer2 dazu: „Sie wurde zwar in Breidbachs Ortsgeschichte von Gruiten abgedruckt, ist aber bislang weitgehend unbekannt geblieben, und wurde für die bisherige Baubetrachtung der Kirche nicht genutzt“. Das hat Speer mit seiner Ausarbeitung dann gründlich geändert. Ihm verdanken wir aber auch folgende Beschreibung der 21×33 cm großen Zeichnung: „… zeigt das Ende des 18. Jahrhunderts abgebrochene Haus Schöller mit seinem Ecktürmchen, einem sich anschließenden Gebäudeteil Der Gang [zwischen] dem Hauß und Kirch, den Kirchturm mit einem südlich vorgelagerten Anbau Capell und Hauß begrabnuß [Hausbegräbnisstätte], sowie das Kirchenschiff Kirch. Weiter sind der Garten des Hauses Schöller, der Kirchhof, die Trennmauer zwischen dem Haus Schöller und der Kirche, die Kirchhofsmauer und die Gebäudeplätze Offerhaus und Halle namentlich genannt.“
Auch den Anlass für den Streit beschreibt Speer in seiner Schrift: „Im Jahre 1654 ließ die Frau von Schöller, als Inhaberin des großen Feldzehnten dazu verpflichtet, das Dach des Kirchenschiffs durch einen Leyendecker [Leyen=Schieferplatten] reparieren. Infolge dieser Reparatur kam es zu einem Streit zwischen dem Haus Schöller und der Kirchengemeinde, der bei der herzoglichen Hofkanzlei anhängig gewesen, aber im Laufe der Jahre ins Stocken geraten war. […] Die Reparatur des Jahres 1654 war anscheinend ungenügend, denn schon zum Ende der 60er Jahre des 17. Jahrhunderts finden sich Klagen über den schlechten Zustand des Gebäudes. Prediger Ahlius sieht sich genötigt zu einer Kollektenreise aufzubrechen, die ihn 1669 u.a. zur Utrechter Synode führt, um Gelder für die Reparatur der Kirche zu sammeln. In der Zwischenzeit forderte die Gemeinde vom Herrn von Schöller außer der Reparatur die Zahlung einer Zinssumme, deren Zahlung über einen längeren Zeitraum ausgeblieben war. Nachdem auch diese Forderung der Gemeinde nicht freiwillig erfüllt wurde, wandte sich die Gemeinde an den Richter von Solingen […], um eine Verfügung gegen den Herrn von Schöller zu erwirken. Der Richter wollte nicht auf eigene Faust handeln und setzte sich wiederum mit der Regierung in Düsseldorf ins Benehmen, die von ihm im Dezember 1670 und Januar 1671 mehrere Stellungnahmen anforderte. […] Die fragliche Zeichnung ist höchstwahrscheinlich in diesem Zusammenhang […] vom Solinger Richter in Auftrag gegeben worden. Dafür spricht neben der früheren Zugehörigkeit in diesen Aktenbestand vor allem, daß in dieser Streitsituation die Zeichnung nicht einseitig die Position einer Partei unterstreicht. Die Kirchengemeinde hätte sicherlich nicht darauf verzichtet, die Kirche in desolatem Zustand abzubilden, dessen Verbesserung eines ihrer Hauptanliegen war. Gegen eine Auftragszeichnung des Herrn von Schöller spricht die deutliche Kenntlichmachung der Elemente, die ihn mit der Kirche verbinden, und aus denen Rückschlüsse auf seine Zahlungsverpflichtung hätten gezogen werden können. Darüber hinaus läßt die Art der Darstellung mit ihren Beschriftungen keinen anderen Schluß zu: hier sollte informiert werden.“
Die Abbildung oben ist die bisher einzige bekannte mit einem Blick aus südlicher Richtung. Alle anderen zeigen den Blick aus nordwestlich bis nördlicher Richtung. Dabei handelt es sich in der Mehrzahl um Fotos, die mindestens 200 Jahre jünger sind als die Abbildung von 1671.








Lothar Weller, 3.12.2020 (Nach Hinweisen von Gerard Clemens zur Datierung der Fotos geändert und erweitert: 3.12.2020.)
Anmerkung: Dies ist die erweiterte Fassung eines Beitrags, der im Gemeindebrief der reformierten Kirchengemeinde Gruiten-Schöller Nr. 4/2019 abgedruckt wurde.
1 Fritz Breidbach, Gruiten – Die Geschichte eines Dorfes an der Düssel, Gruiten 1970, S. 15.
2 Florian Speer, Anmerkungen zur evangelischen Kirche in Schöller, Wuppertal 1993, S. 21 f.
Der Turm von Haus Schöller
Auf der ältesten Ansicht von Kirche und Haus Schöller (Titelbild im Beitrag oben) fehlt der markante und wuchtige Turm. Vorhanden war er um diese Zeit (1671), aber für den damaligen Streitfall hatte er offenbar keine Bedeutung, sodass er in die Zeichnung nicht aufgenommen wurde. Eine Karte aus der Zeit um 1700, in der Schöller allerdings nur schematisch dargestellt ist, zeigt ihn aber (Abb. unten).

Früher wurde angenommen, der Turm sei bereits Mitte des 13. Jahrhunderts erbaut worden. Aber als durch einem Scheunenbrand 1988 auch das schiefergedeckte Pyramidendach mit dem Dachstuhl des Turms abgebrannt war, wurde der Turm vom Rheinischen Amt für Denkmalpflege untersucht. Das Ergebnis: Er stammt nicht aus dem Mittelalter, sondern ist aufgrund stilistischer Merkmale in die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts zu datieren. Da der Turm beheizbar war (Kamine) und abschließbare Aborte enthielt (Toilettenschacht in der Südwand), handelt es sich um einen für seine Zeit durchaus komfortablen Wohnturm, der aber äußerlich die aus dem Mittelalter überlieferten Formen eines Wehrturms aufweist, welche aber nur als Stilmittel eingesetzt wurden, um Wehrhaftigkeit (die praktisch nicht vorhanden war) und standesgerechtes Bauen zu demonstrieren. Hervorgehoben wird im Bericht über die Untersuchung des Turms* auch der schmiedeeiserne Fensterkorb, in dem der Auerbäumer Hannes der Legende nach gefangen gehalten worden sein soll (mehr zum Auerbäumer Hannes hier). Aber seine Bedeutung hat er nicht deswegen, sondern wegen seiner aufwändigen Schmiedearbeit mit ornamentalen Zierformen, die neben anderen Indizien für die Datierung des Turms wichtig ist: Der Fensterkorb hat nämlich von Anfang an zum Bau gehört (sitzt noch an der ursprünglichen Stelle) und ist kunsthistorisch dem 16. Jahrhundert zuzuordnen.
Lothar Weller, 7.12.2020
* MH [Hartung], Bauuntersuchung am Wohnturm Schaesberg in Schöller, in: Denkmalpflege im Rheinland Nr. 1/1990, S. 22-25.
Alte Zeitungsartikel mit Fotos aus ungewöhnlichem Blickwinkel


Lothar Weller, 29.12.2021
LINK zu einem Beitrag über den Hof Habbach