Die Antwort auf diese Frage ist für die Geschichte Gruitens deshalb von Bedeutung, weil es seit 2015 eine umfangreich begründete Theorie gibt, die die Entstehung der romanischen Kirche (von der heute noch der Turm auf der Anhöhe am westlichen Ausgang von Gruiten-Dorf steht) auf fremde Kaufleute zurückführt und deshalb die Kirche ursprünglich — außer ihrer Lage — gar nichts mit Gruiten zu tun gehabt haben soll.1
Kernpunkt der Theorie ist die Annahme, dass die alte Kölnische Straße, die östlich an Wülfrath vorbei über die Schöllersheide und Potherbruch hinunter zur Düssel und auf der anderen Seite hinauf nach Millrath und über Hilden nach Köln führte, bereits um 1065 n.Chr. bestanden hat und mit der strata Coloniensis identisch ist, die in einer Urkunde aus diesem Jahr genannt wird. An dieser Altstraße soll die Kirche von fremden („welschen“) Kaufleuten als Station an der Handelsroute errichtet worden sein. Einen Beweis für diese Grundvoraussetzung der Theorie gibt es bisher nicht. Im Gegenteil: Die Zweifel an der Richtigkeit der Annahme nehmen zu.
Seit über 60 Jahren wird dem Verlauf der strata Coloniensis von 1065 (kurz: SC 1065) nachgespürt. Und obwohl es bereits seit 1961 die Beschreibung einer Altstraßen-Trasse gibt2
(1992 bekräftigt3
), die nicht der oben beschriebenen entspricht, weil sie über Mettmann hinunter ins Neandertal führt und Gruiten gar nicht nahe kommt, halten sich die unterschiedlichen Ansichten über den Verlauf der SC 1065 (mehr dazu im Anhang, bes. auch Anm. [2] des Anhangs).
Anfang 2020 wurde in Wien eine umfangreiche Untersuchung veröffentlicht4
, in die die bekannten Publikationen über die SC 1065, aber auch bisher nicht berücksichtigte alte Karten einbezogen wurden, um mit modernen Methoden die Plausibilität der verschiedenen Hypothesen über den Verlauf der SC 1065 zu prüfen. Nach dem Ergebnis sind die Verläufe über Mettmann — Neandertal und über Wülfrath — Potherbruch — Thunis die wahrscheinlichsten. Die Strecke über Mettmann — Neandertal ist die kürzere von beiden, aber auch die etwas beschwerlichere, dagegen die über Wülfrath — Potherbruch — Thunis die längere, aber insgesamt etwas „bequemere“ (z.B. wegen weniger starken Steigungen/Gefällen).
Diese Unterscheidung liefert m.E. einen zusätzlichen Ansatzpunkt, um einer Entscheidung über die wahre SC-1065-Trasse näherzukommen: Solange die Straße von Fußgängern (ggf. mit Packtieren) benutzt wurde, war die kürzere Strecke die günstigere, weil für Fußgänger die Überwindung von Steigungen/Gefälle leichter ist als z.B. für Ochsenkarren. Das spräche dafür, dass die Trasse über Mettmann — Neandertal die ältere ist und erst im Laufe der Jahrhunderte mehr und mehr durch die längere, aber „bequemere“ ersetzt wurde, als der Warenverkehr zunehmend per tiergezogenen Lastkarren erfolgte. Dazu passt, dass die Erinnerung an die Trasse über Mettmann — Neandertal um 1670 bereits verblasst gewesen zu sein scheint, denn im Schatz- und Lagerbuch des Amtes Mettmann 1672/73 werden keine Höfe an dieser Trasse mehr mit einem Bezug zu einer Kölnischen Straße erwähnt, während insgesamt 7 Höfe an der (vermutlich jüngeren) Trasse vom Potherbruch bis Wülfrath mit klarem Bezug zu einer Kölnischen Straße aufgeführt sind.5
Auch das Mettmanner Urkataster von 1830 scheint das zu bestätigen, denn dort ist für die Wegstrecke zwischen Neandertal und Mettmann kein Straßenname angegeben, sondern nur noch eine Flurbezeichnung „An der Kölnischen Strasse“ enthalten (Abb. unten).

Im Gegensatz dazu ist die Bezeichnung „Köllnische Strasse“ für die Trasse von Thunis über Potherbruch Richtung Wülfrath im Urkataster der Bürgermeisterei Haan prominent enthalten (Abb. unten)!

Es gibt aber auch eine Karte von 1750, die eine „Alte sogenannte Köllnische Landstraße von der Schöllersch Heide nach Langenberg und den märkischen Landen hinführend“ enthält (Abb. unten).6

6
Nach der Richtungsangabe für diese Straße („nach Langenberg und den märkischen Landen“) führt diese Kölnische Straße, die erkennbar die Fortsetzung der direkt an Gruiten vorbeiführenden Kölnischen Straße über Potherbruch Richtung Wülfrath betrifft, zumindest zu dieser Zeit nicht nach Werden! Um 1900 erschien eine kleine Schrift, die in diesem Punkt noch konkreter wird: „Die alte Kölnische Straße ging von Köln über Hilden nach Millrath, Winkelsmühle, Gruiten, Schöllersheide, Tönisheide, Langenberg, Hattingen nach Dortmund. (11. Jahrh.)“7
Auch Horst G. Hütten hat 1994 diese Kölnische Straße ebenfalls als „in Ostrichtung ins Westfälische“ führend beschrieben.8
Was nicht ausschließt, dass es von dieser Kölnischen Straße auch einen Weg nach Werden gab! Hermann Banniza hat dazu geschrieben, dass sich diese Kölnische Straße südlich von Schlagbaum (östlich von Wülfrath) in einen nördlichen und einen nordöstlichen Zweig teilte, für die Strecke Hammerstein — Kocherscheidt der Name Cölnische Straße urkundlich belegt und über Tönisheide/Velbert der Ruhrübergang bei Werden leicht zu erreichen gewesen sei. Aber er beschreibt auch den anderen Zweig nach Nordosten: „… über Vossnacken, Nierenhof und Balkhausen zum Ruhrübergang bei Hattingen-Winz“.9
Spätestens an solchen Abzweigungen ist aber zwischen der Trasse einer „Straße“ und dem Verlauf einer (Handels-/Reise-)“Route“ (die über mehrere Straßen führt) zu unterscheiden. Wie wäre es, wenn die Abzweigung von der Kölnischen Straße südlich von Schlagbaum in Richtung Werden nur einer „Route“ zugehören und die Fortsetzung der Kölnischen Straße in Richtung Ruhrübergang bei Hattingen verlaufen wäre? Nicht jede Kölnische Straße muss ja nach Werden führen! Im Gegenteil: Für die Zeit, um die es hier geht (1065 n.Chr.), kann es nur eine gegeben haben! (Siehe dazu im Anhang den letzten Satz im 1. Abs.) Aufschluss darüber müsste uns die Sicht aus Richtung Werden geben. Wenn die Werdener zu der Zeit, als es beide Kölnischen Straßen, um die es hier geht, gegeben hat, also in der Frühen Neuzeit (siehe dazu im Anhang den 6. Abs.), nur einen Weg als Kölnische Straße angesehen hätten und dieser über Mettmann ins Neandertal verlaufen wäre, müsste die Frage, welche Kölnische Straße die strata Coloniensis von 1065 war, beantwortet sein!
Aus der Sicht von Werden in Richtung Köln zeigt eine Karte aus der Zeit um 1650 (Abb. unten) die Kölnische Straße!

Und die Trasse dieser Kölnischen Straße führte, das hat Hanna Eggerath bereits aus einer früheren Karte von 1582 (Abb. unten) und Karten von Ploennies 1715 geschlossen, Richtung Mettmann und von dort ins Neandertal!10
Die Richtung von Werden auf Mettmann zu wird auch bestätigt durch eine Urkunde vom 1.2.1650, die das Gut an der Biebelskirchen in Obschwarzbach betrifft. Darin heißt es: „… und sichern underpfandt solches Hauß, Hoff, gardt an der biebelßkirchen sampt einem stückßgen Artlandts, langs die scheur ab: biß auff die Colsche straße schießendt …“.11

Nach diesen Feststellungen und Nachweisen kann der Verlauf der strata Coloniensis von 1065 über Mettmann und das Neandertal — ohne neue Funde, die etwas Anderes aussagen12
— wohl nicht mehr bezweifelt werden.
Lothar Weller, Stand 29.3.2023
Anmerkungen: Die Theorie von der von Fremden erbauten Kaufmannskirche stützt sich auf weitere Annahmen, z.B. darauf, dass die Kirche rund 100 Jahre älter ist, als von den meisten Fachleuten angenommen wird, obwohl nicht einmal sicher ist, dass Clemen, auf den die Frühdatierung zurückgeht, die Kirche jemals selbst in Augenschein genommen hat. Aber nur bei einer frühen Erbauung der Kirche gegen Ende des 11. statt Ende des 12. Jahrhunderts ist die Kaufmannskirche denkbar. Siehe dazu (LINK) und (LINK). Die Annahme, dass die Kirche nur bei Gruiten steht, weil sie nicht im Dorf erbaut wurde, kann als widerlegt gelten. Siehe dazu (LINK). Und der Mythos „Welschenmauer“, der die Annahme stützt, dass die Kirche von Fremden gebaut worden sein müsse, ist inzwischen „entzaubert“. Siehe dazu (LINK). Auch das Argument, dass nur fremde Kaufleute für die im Vergleich mit Haan so extrem hohen Abgaben an die Kirche verantwortlich sein können, steht inzwischen auf tönernen Füßen. Sie dazu (LINK).
1
Jürgen Brand, Die Kaufmannskirche St. Nikolaus bei Gruiten, in: 940 Jahre St. Nikolaus bei Gruiten, hg. von Jürgen Brand, o.O. 2015. Eine neuere Fassung ist unter dem Titel St. Nikolaus bei Gruiten. Eine christliche Karawanserei an der Strata Coloniensis im 11. Jahrhundert erschienen in: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein, Heft 222, 2019, S. 7-48.
2
Erich Krumme, Die Kölnischen Straßen im Niederbergischen Raum, in: Romerike Berge, Heft 2/November 1961, S. 68 ff.
3
Hanna Eggerath, Die Strata Coloniensis von Werden bis Hilden, in: Journal 12, Jahrbuch des Kreises Mettmann 1992/93, S. 22 ff.
4
Proceedings of the 23rd International Conference on Cultural Heritage and New Technologies 2018. CHNT 23, 2018 (Vienna 2019). http://www.chnt.at/proceedings-chnt-23/ – ISBN 978-3-200-06576-5, Editor/Publisher: Museen der Stadt Wien, Stadtarchäologie. (LINK zur PDF-Datei.)
5
Schatz & Lagerbuch des Amtes Mettmann 1672-73 (Landesarchiv NRW: Jülich-Berg III R Nr. 61 Amt Mettmann, Transkription Helga Kuth).
6
Landesarchiv NRW Abt. Westfalen, W051 / Karten A [Allgemein], Nr. 7867.
7
Kleine Heimatkunde des Kreises Mettmann, bearbeitet von Dr. Ernst Schmidt, Lehrer, Langenberg o.J. (spätestens 1900), S. 12 f. (Irritierend ist die Angabe in der Klammer hinter dem zitierten Satz („11. Jahrh.“), denn aus dem 11. Jh. ist nur die Urkunde von 1065 bekannt, die eine Kölnische Straße nennt, nämlich die strata Coloniensis. Diese führte aber nicht über Langenberg, Hattingen nach Dortmund, sondern nach Werden a.d. Ruhr!) — Aus dem westfälisch-lippischen Bereich gibt es folgenden Hinweis: „Südlünen […] entwickelte sich aufgrund der hervorragenden Straßenlage an der Fernstraße von Köln über Dortmund nach Münster und an die See zu einer geschlossenen Siedlung.“ Langenberg und Hattingen werden dort allerdings nicht erwähnt, sodass nicht erkennbar ist, ob es sich um die von Schmidt beschriebene Kölnische Straße handelt. (Quelle: Guido Heinzmann, Gemeinschaft und Identität spätmittelalterlicher Kleinstädte Westfalens, Norderstedt 2006, S. 55.) Eine von Friedrich Christoph Müller vermessene und gezeichnete Karte der Grafschaft Mark von 1791 enthält jedoch eine Straßenverbindung von Langenberg über Hattingen und Bochum nach Dortmund.
8
Horst G. Hütten, Die Bauern an den Mettmanner Bächen, Mettmann 1994, S. 16. Hütten hat auf der Folgeseite eine Zeichnung mit der Rekonstruktion „Das overste Amt Medemen 1477“ beigefügt, in der die Kölnische Straße über Mettmann als strata coloniensis, die über Thunis — Potherbruch — Wülfrath aber ohne Bezeichnung enthalten ist. Das Buch enthält auch die Abzeichnung eines Ausschnitts einer Güterkarte des Stiftes Werden, Abt Duden, aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, in dem Orte genannt sind, die die Straiß off Cullen von Werden in Richtung Köln berührt: Born parochia, Barickhouen, Straithausen. (Vermutlich meint Hütten hier die oben abgebildete Karte Nr. 1526, die im Landesarchiv NRW liegt [„Karte des Stifts Werden mit Kennzeichnung der Lehn-, Hofs-, Behandigungs- und Pachtgüter des Abts“] und der Zeit um 1650 zugerechnet wird. Mehrere Ortsbezeichnungen darin sind auch in einer früheren Karte von 1582 enthalten (Abb. ebenfalls oben), sodass die Richtung, die die strata coloniensis von Werden aus einschlug, recht gut bestimmt werden kann (s. dazu auch Anm. 10).
9
Hermann Banniza, Urgeschichtliche Fundplätze in Haan (Rheinland), Haan 1986, S. 193.
10
Eggerath (wie Anm. 3), S. 22: „Der zweite Nachweis ist […] die Lehnsgüterkarte des Abtes Duden von 1582. Hier sehen wir den Verlauf des ersten Wegstücks [der Strata Coloniensis]. Die Strata überquert bei Werden die Ruhr, läuft westlich an Kalkofen […] und erreicht bald darauf die Grenze des Herzugtums Berg. […] Der Ort Velbert ist von der Strata nicht berührt worden.“ Die weitere Wegführung beschreibt Eggerath auf der Basis der Ploennies-Karten von 1715, z.B. „Sie [die Strata Coloniensis] folgt […] dem Bibelskircher Weg, nähert sich dem Gebiet, in dem der Schwarzbach […] entspringt, und strebt Mettmann zu.
11
Alt-Archiv Stadt Mettmann Nr. 12, Transkription Helga Kuth.
12
Denkbar wäre z.B. der Fund einer Werden-Karte, die über den in der Karte von um 1650 dargestellten Bereich hinausreicht und eine Gabelung der strata Coloniensis enthält, von der ein Zweig auf die Kölnische Straße um Wülfrath herum nach Gruiten und dem Hof Thunis führt. Eine solche Verbindung habe ich oben nicht ausgeschlossen. Dann würden allerdings die Argumente für eine frühe und eine spätere Kölnische Straße wieder greifen (Wer gibt eine „bequemere Route“ zugunsten einer „schwierigeren“ auf?), und die Karte von 1750 mit dem Verlauf einer Kölnischen Straße Richtung Langenberg (von der ja ein Abzweig nach Werden durchaus denkbar und sogar logisch wäre) würde weiterhin die Unterscheidung von „Straße“ und „Route“ stützen.
Anhang
Selbstverständlich ist jede Kölnische Straße auf Latein eine strata Coloniensis, aber die lateinische Bezeichnung geht zurück auf eine Urkunde aus dem Jahre 1065 n.Chr., in der sie als östliche Grenze eines verschenkten Waldgebietes zwischen Rhein, Ruhr und Düssel genannt worden ist.[1] Dass alle in der Schenkungsurkunde genannten Grenzen damals für die Beteiligten eindeutig und unstrittig gewesen sind, darf man als sicher unterstellen, denn unterschiedliche Auslegungen der Grenzziehung mussten bei einer Schenkung verständlicherweise ausgeschlossen sein. Rhein, Ruhr und Düssel waren eindeutige, natürliche Grenzen, aber auch der Verlauf der strata Coloniensis zwischen Ruhr (Ruhrbrücke bei Werden) und der Düssel wird deshalb damals eine klar definierte gewesen sein. Es wird also um 1065 von der Ruhrbrücke bei Werden bis zur Düssel nur einen Weg gegeben haben, der als strata Coloniensis bezeichnet wurde, sonst wäre die östliche Grenze in der Urkunde nicht zweifelsfrei beschrieben gewesen.
Trotzdem werden seit etlichen Jahrzehnten unterschiedliche Wege als strata Coloniensis von 1065 angesehen. Mettmann beruft sich z.B. darauf, dass sie am Mettmanner Königshof vorbeiführte, während Wülfrath für sich in Anspruch nimmt, dass sie südlich an Mettmann vorbei und östlich um Wülfrath herum verlaufen ist. 1991 kam es zu einem kuriosen Höhepunkt, als in ein und derselben Publikation folgende unterschiedliche Wegbeschreibungen abgedruckt wurden:
„Mettmann lag an einer bedeutenden frühmittelalterlichen Heer- und Handelsstraße, die von Köln aus das Bergische Land durchquerte. Die ’strata coloniensis‘ berührte die Orte Deutz, Hilden, Hochdahl, Mettmann, Schwarzbach, Anger und Werden. […] Die ’strata coloniensis‘ führte mitten durch die heutige Stadt, von Obschwarzbach kommend über die Hammerstraße, durch die Lutterbeck, die Mittelstraße, die Neanderstraße auf die Eidamshauser Straße und dann weiter durch die Talenge des Zusammenflusses von Mettmanner Bach und Düssel in Richtung Hochdahl, wo eine Ringwallanlage den Übergang sicherte.“[2]
„In dieser Urkunde [Schenkungsurkunde König Heinrich IV. vom 16. Oktober 1065] bestätigt der jugendliche Heinrich seinem Erzieher Adelbert von Bremen die Schenkung des Königshofes zu Duisburg sowie des Reichsforstes zwischen den Flüssen Rhein, Ruhr und Düssel. Die östliche Grenze dieses Gebietes wird mit der Kölnischen Straße angegeben, die von Werden an der Ruhr über Velbert und Wülfrath lief, südlich von Mettmann die Düssel überquerte und dann weiter nach Köln führte.“[3]
Eine ähnliche Beschreibung des Wegeverlaufs findet sich im selben Buch auch in einer weiteren Stadtgeschichte: „[…] die ‚Strata Coloniensis‘ […] 1065 erwähnt […]. Die ‚Kölnische Straße‘ kam aus dem Kölner Raum, überquerte bei Zons den Rhein, ließ Mettmann westlich liegen, führte östlich an Wülfrath vorbei über Tönisheide nach Velbert und weiter nach Werden […].“[4]
Dass der südlich an Mettmann vorbei östlich um Wülfrath herum führende Verlauf zu einer Altstraße gehört, die als Kölnische Straße bezeichnet worden ist, kann nicht bezweifelt werden. Aber die bisher frühesten bekannten Nachweise dafür (ein Rottzehntverzeichnis von 1545 und eine in Gruiten vorhandene Urkunde von 1589) liegen rund ein halbes Jahrtausend nach der Erwähnung von 1065, liefern also keinen schlüssigen Beweis dafür, dass es diese Kölnische Straße auch schon 500 Jahre zuvor gegeben hat. Trotzdem sind 2001 mehrere Teilstücke dieser Trasse nicht einfach als Teile einer alten Kölnischen Straße, sondern mit eindeutigem Bezug auf die strata coloniensis von 1065 als Bodendenkmäler eingetragen worden. Die Grundlage dafür war ein Gutachten, dem einerseits lediglich Kartenmaterial aus dem 19. Jahrhundert (nicht einmal die Karten von Ploennies aus dem Jahre 1715 wurden berücksichtigt) und andererseits eine „Fehlinterpretation“ des Urkundentextes von 1065 zugrunde lag, wie dieser Auszug offenbart (Hervorhebung im Text von mir): „Darstellungen der Trassenführung zeigen historische Karten wie die Karte von Lecog (1805), die Urkatasterkarte (1830) und die Preussische Uraufnahme (1846) bzw. Neuaufnahme (1895) der Topografischen Karte im Maßstab 1: 25000. Die erste und wichtigste Quelle, die die strata colonensis betrifft, stammt aus dem Jahre 1065. In diesem Jahr schenkt Heinrich IV. dem Erzbischof Adalbert von Bremen den Bannforst wenaswald zwischen der Ruhr im Norden, dem Rhein im Westen und der Düssel im Süden. Im Osten reicht nach dieser Quelle das Waldgebiet bis an den Weg, der von der Werdener Brücke nach Köln führt und unterhalb des Hofes Thunis auf die Düssel trifft.“ Der von mir unterstrichene Teil des letzten Satzes ist der eigentliche Knackpunkt: Dass die strata Coloniensis die Düssel beim Hof Thunis (den es damals noch nicht gab) querte, geht aus der Urkunde von 1065 eben nicht hervor; der Punkt der Düsselquerung ist hier nicht benannt. Nur wenig überspitzt könnte man sagen, dass es nie unterschiedliche Ansichten über den Verlauf der strata Coloniensis von 1065 gegeben hätte, wäre die Düsselquerungsstelle tatsächlich durch die Urkunde bekannt gewesen!
2015 erschien dann zum Abschluss der Sanierung des Turms der alten Gruitener Nikolauskirche ein Buch, in dem der Verlauf der strata Coloniensis über Thunis – Potherbruch (in unmittelbarer Nähe von Gruiten-Dorf) südlich an Mettmann vorbei Richtung Wülfrath als wichtige Prämisse für die Theorie verwendet wurde, dass die romanische Kirche Gruitens von (fremden) Handelsreisenden gebaut worden sei.[5] Damit gab es einen weiteren Grund, belastbare Nachweise für den Verlauf der strata Coloniensis von 1065 zu finden. Dazu wurden Altkarten herangezogen, die für das oben erwähnte Gutachten nicht berücksichtigt wurden (auch Altkarten, die nur lokale Bedeutung hatten), und moderne Geo-Informationssysteme eingesetzt. Außerdem wurde die bisher unbeachtet gebliebene Information aus der Urkunde von 1065, dass das geschenkte Waldgebiet die Form eines Dreiecks hat („…in triangulo trium fluminum scilicet Rein, Tussale et Rurae positum…“), in die Untersuchung einbezogen. Das Ergebnis wurde Anfang 2020 in Wien veröffentlicht und ist online abrufbar unter: https://www.chnt.at/wp-content/uploads/eBook_CHNT23_Herzog.pdf. Danach kommen mehrere Düsselübergänge als Querungsstellen der strata Coloniensis von 1065 infrage (darunter auch die zwei oben erwähnten), ohne dass sich für eine dieser Möglichkeiten eine eindeutige Präferenz ergeben hat. Deshalb endet der Aufsatz mit dem Hinweis, dass für eine Entscheidung, welcher Düsselübergang die Querungsstelle der strata Coloniensis von 1065 ist, weitere archäologische und/oder urkundliche Funde erforderlich sind.
LW, Stand 24.2.2023
[1] Theodor Joseph Lacomblet, Urkundenbuch für die Geschichte des Niederrheins oder des Erzstifts Cöln, der Fürstenthümer Jülich und Berg, Geldern, Meurs, Kleve und Mark, und der Reichsstifte Elten, Essen und Werden: aus den Quellen in dem Königlichen Provinzial-Archiv zu Düsseldorf und in den Kirchen- und Stadt-Archiven der Provinz, vollständig und erläutert, 1 (1840) Von dem Jahr 779 bis 1200 einschließlich, S. 133 Nr. 205 (Urkunde vom 16.10.1065), digital in: http://digitalesammlungen.ulb.uni-bonn.de/content/pageview/8390
[2] Bernd Gansauer, Geschichte der Stadt Mettmann, S. 6, in: Neuigkeiten aus alter Zeit. Der Kreis Mettmann und die Geschichte seiner 10 Städte, hg. vom Kreis Mettmann, Meinerzhagen 1991. Eine damit übereinstimmende, aber ausführlichere Beschreibung des Verlaufs gibt Gertrud Middell (Quellen zur Mettmanner Stadtgeschichte von 904-1519, Hg.: Kreisstadt Mettmann, 1985, S. 12): „Durch den Königsbesitz der Karolinger im Keldachgau führte die alte Straße von Werden nach Köln, die ’strata coloniensis‘. Wir können ihren Verlauf heute noch im Mettmanner Raum verfolgen. Gehen wir in Gedanken vom Gasthaus ‚Bibelskirch‘ in Obschwarzbach aus die Straße nach Süden auf Mettmann zu, kommen wir über die Hammerstraße, durch die Lutterbeck, die Mittelstraße, die Neanderstraße auf die Eidamshauser Straße. Diese führt dann durch die Talenge, wo Mettmanner Bach und Düssel zusammenfließen, über Tekhaus, den alten Rittersitz an der Fliehburg auf dem Butterberg, und Schlickum und das Hälterhöfchen in Hilden auf den Mauspfad nach Köln.“ Auch im Festmagazin zum 1100jährigen Jubiläum der Stadt Mettmann (2004) sind unterschiedliche Wege als strata Coloniensis bezeichnet: „Überall im Land wurden Königshöfe eingerichtet […], so wie der Königshof Mettmann, der an der strata coloniensis […] ideal gelegen war […].“ (S. 10) – „Die spätere Kreisstadt [Mettmann] war einer der Hauptverkehrspunkte im Land – dank der „Strata Colonienis“, der Kölnischen Straße. […] Sie war bedeutender Handelsweg und führte von Köln über Wülfrath, Velbert und Essen ins Westfälische.“ (S. 26)
[3] Willi Münch, Geschichte der Stadt Wülfrath, S. 9 f., in: wie Anm. 2.
[4] Gerhard Haun, Geschichte der Stadt Velbert, S. 7, in: wie Anm. 2.
[5] Jürgen Brand, Die Kaufmannskirche St. Nikolaus bei Gruiten, in: 940 Jahre St. Nikolaus bei Gruiten, hg. von Jürgen Brand, o.O. 2015. Eine neuere Fassung ist unter dem Titel St. Nikolaus bei Gruiten. Eine christliche Karawanserei an der Strata Coloniensis im 11. Jahrhundert erschienen in: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein, Heft 222, 2019, S. 7-48.
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