Zwischen dem Schneidershaus und dem Offerhus/Offers stand einst das ganz alte und niedrige Doppelhaus mit dem Namen „Im Höhländer“. Um 1920 mußte es wegen Baufälligkeit abgerissen werden. […] Weil seine Rückseite tiefer lag, hatte man hier das Dach heruntergezogen. Unter ihm war die „Blotschenmacherei“ von Gruiten. Holzschuhe wurden hier gefertigt. Sie gehörten damals zur ständigen Fußbekleidung. Man hatte auch Schuhe, die zog man aber nur bei besonderen Gelegenheiten an und wenn man zur Kirche ging. Holzschuhe standen an jeder Haustür bereit, um in sie hineinzutreten, wenn man die Wohnung verließ.[1]

Nur ein Foto des Hauses Höhländer ist bekannt (Titelabbildung oben); es zeigt die Vorderseite des Hauses (am heutigen Heinhauser Weg, rechts das Offerhus). Das unregelmäßige Fachwerk lässt auf ein höheres Alter des Hauses schließen, aber wie alt es wirklich war, ist nicht bekannt. Die Bezeichnung des Hauses variiert – wie häufig – auch hier im Laufe der Zeit. 1807, 1809 und um 1840-53 wird das Haus z.B. mit in der Hölländer bzw. im Hollander bezeichnet.[2] Im Urkataster von 1830/31 ist es – wie üblich – ohne Namen enthalten (Abb. unten, die farbigen Ergänzungen habe ich zur besseren Orientierung eingefügt).

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Urkataster Bürgermeisterei Haan 1830/31-69, Repro (Ausschnitt) mit Ergänzungen von mir.

Auf den ersten Blick etwas irritierend ist, dass das Haus in einem Plan (Abb. unten), der zu einem Kaufvertrag von 1863 gehört, nicht enthalten, das Schneidershaus aber eingezeichnet ist, obwohl es – wie das Haus Höhländer – nicht Gegenstand des Vertrages war.[3] Daraus ist aber nicht zu schließen, dass das Haus Höhländer zu dieser Zeit noch nicht oder nicht mehr vorhanden war. In den Plan aufgenommen wurden offenbar nur die Gebäude, die 1863 verkauft wurden (schraffiert) oder sich bereits im Besitz des Käufers befanden (Schneidershaus, nicht schraffiert).

1863-12-13 Kaufvertrag JPK-Dok. VI Nr.1 (14) Karte,Ausschn2m.Text,Ausschn
Plan (Ausschnitt) zum Kaufvertrag von 1863[3]. Repro mit Ergänzungen von mir.

Die Gruitener „Blotschenmacher“ sind im 19. Jahrhundert nachweisbar. 1874 heiratete der Gruitener Holzschuhmacher Carl Buschenhofen (geb. 1844), 1876 wird hier sein Sohn Carl Paul getauft.[4] Am 13.4.1898 starb in Gruiten Carls Bruder, der Holzschuhmacher Wilhelm Buschenhoven im Alter von knapp 50 Jahren[5]. In den Gruitener Adressbüchern finden wir den Holzschuhmacher Carl Buschenhofen aber nur noch 1901, er starb 1903[5]. Danach ging die Zeit der Buschenhofens in Gruiten wohl zu Ende. Im Gruitener Adressbuch 1909/10 ist jedenfalls kein Holzschuhmacher und auch kein Einwohner namens Buschenhofen mehr verzeichnet, dafür aber ein Schuhmachermeister Vittorio Damin im Haus Dorf 96, das ist das Haus Höhländer!

Im Archiv Breidbach befinden sich undatierte Fotos, auf denen drei Generationen der Holzschuhmacher-Familie Buschenhofen abgebildet sein sollen (Abb. unten)[6]

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Drei Generationen „Blotschenmacher“ in Gruiten?

Der Senior oben links ist wohl deutlich älter als 50 Jahre, kann also nicht der 1898 verstorbene Wilhelm Buschenhofen sein. Auch sein Bruder Carl/Karl Buschenhofen – der erste Holzschuhmacher der Familie – scheidet aus; er starb 1903 im Alter von knapp 59 Jahren. Bleibt noch deren Vater Johann B., aber der ist nur 52 Jahre alt geworden und in den Gruitener Kirchenbucheinträgen bis zu seiner Beerdigung 1858 immer als Weber verzeichnet. Um auf drei Generationen zu kommen, käme als Senior nur noch der Schwiegervater von Carl/Karl B. infrage, aber die Schwiegereltern Aulenberg stammen aus Blomberg in Lippe-Detmold, und deren Name taucht hier in Gruiten um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert nicht auf. 

Auch die Überlieferung zu Gruitens „Blotschenmachern“ löst dieses Rätsel nicht; sie lautet: Blotschenkammer im Höhländer! […] Paul Buschenhofen war ein echter Gruitener, der nur den heimischen Dialekt sprach. Einst arbeiteten in der Werkstatt der Ahn, Vater und Sohn. […] Generationen der Familie Buschenhofen sind hier ihrem Handwerk nachgegangen. Nach dem ersten Weltkrieg waren die Blotschen […] ein begehrter Artikel, der von Reich und Arm, Klein und Groß getragen wurde. Man sagte sprichwörtlich, daß die Kinder mit Blotschen auf die Welt kämen. Die 4 Zoll großen Blötschkes waren oft ein beliebtes Patengeschenk. Es gab wohl kein Haus im ganzen Dorf, wo man zur Haustüre herein kam und keine Blotschen standen, oft in langer Reihe. Sie waren ja auch so bequem, in Sekundenschnelle war man aus ihnen heraus- und wieder hereingeschlüpft. In ihnen hatte man stets warme und trockene Füße. Besuchen wir doch in Gedanken die Blotschenmacher bei der Arbeit. Wir gehen auf der ausgetretenen Treppe neben dem Hause oder durch das Haus auf einer schmalen Treppe hinunter. Unten wird in zwei Kammern fleißig gearbeitet. Tür und Fenster lassen gerade das Sonnenlicht auf den Arbeitsplatz fallen. Vor der Türe unter dem überstehenden Dach liegen ganze Berge von kleingeschnittenen Weidenstämmen aufgestapelt zum Trocknen. Maschinen kannte man hier nicht. […] Da steht der Meister vor der Türe. Seine Kennerblicke gleiten über die Holzkloben, und er sucht, bis er zwei zusammenpassende Stücke gefunden hat. […] Wer nun bei Buschenhofen ein Paar Blotschen haben wollte, mußte sie anprobieren oder hatte ein Maßstöckchen aus alten Blotschen mitgebracht. […] Im ersten Weltkrieg wurden die Blotschen, um länger zu halten, mit Eisenplättchen beschlagen. Es war um 1920, als der Höhländer wegen Baufälligkeit abgerissen wurde. Es wurde stiller um die Blotschen, weil die Lederschuhe […] Vorrang erhielten. […] Jetzt kamen auch die Händler, die die Blotschen fabrikmäßig herstellten, so daß sie in jeder Größe in den Winkelwarengeschäften angeboten wurden. […] noch ein Wort zum Blotschen-Paul, dem letzten seines Stammes als Junggeselle. […] Als er das Haus verlassen mußte, hat er noch in der Nachbarschaft gewohnt und manchen guten Hilfsdienst getan […]. Mit ihm wurde […] ein alter Handwerkerberuf zu Grabe getragen.[7]

„Blotschen-Paul“ wird wohl der 1878 geborene Carl Paul sein. Wenn er – der letzte Holzschuhmacher Gruitens und der Familie Buschenhofen – auf den Fotos oben rechts als Kind abgebildet sein sollte, dann müssten die Fotos etwa um 1890 entstanden sein. 

Zurück zum Haus Höhländer. Rund 30 Jahre nach dem Abriss des historischen Gebäudes lag das Grundstück brach, bis Mitte der 1950er Jahre dort ein Neubau entstand – glücklicherweise wieder in Fachwerk. 

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Richtfest des Höhländer-Nachfolgebaus (Rückseite des Hauses), rechts das Schneidershaus. Foto (1955): Sepp Unger/Kreisarchiv ME. 

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Höhländer-Nachfolgebau (Vorderseite am Heinhauser Weg). Foto (2003): von mir.

Lothar Weller, 16./17.6.2020 – Titelfoto (Anfang des 20 Jahrhunderts): Gruitener Archive/Kratz.

Nachtrag 17.7.2020/14.11.2022: Auch vor den Buschenhofens hat es offenbar mindestens einen Holzschuhmacher in Gruiten gegeben, wie die folgende Meldung zeigt. Wo er seine Werkstatt hatte, ist bisher nicht bekannt.

Diebstahl Wolferz
Repro aus: Amtsblatt Regierungsbezirk Düsseldorf. (1854 wanderte ein Gruitener Holzschuhmacher Joseph Wolfertz, geb. 1807, nach Nordamerika aus. Wohin genau, ist bisher unbekannt. Quelle: Landesarchiv NRW Abt. Rheinland, Bestand BR 0007, lfd. Nr. 553, S. 141.)

Nachtrag 24./31.5.2023: 1854 gab es in Gruiten einen Holzschumacher Wilhelm Lambert Imbusch. Ob er im Höhländer gearbeitet hat, ist unbekannt. Gewohnt hat er um diese Zeit aber ganz in der Nähe, nämlich am Weinberg (Geburtsurkunde Anna Imbusch, geb. 1854). Für etwa 1856 bis 1860 ist im Höhländer (hier Hölenkter geschrieben) ein Schuhmacher (nicht Holzschuhmacher/Blotschenmacher!) Peter Wichterich nachgewiesen. (Geburtsurkunden Friedrich Wichterich, geb. 1856, und Margaretha Wichterich, geb. 1860.)


[1] Fritz Breidbach, Gruiten – Die Geschichte eines Dorfes an der Düssel, Gruiten 1970, S. 65.

[2] a) Sterberegister 1807/09 der reformierten Gemeinde Gruiten – b) Notabuch des Bezirksschornsteinfegermeisters Peter Wilhelm Cremer von 1840-53, Titel der Abschrift von Helga Kuth, 2000), Stadtarchiv Mettmann, AA-Mettmann Nr. 391.

[3] Vertrag Benninghoven/Benninghoven vom 13.12.1863, JPK-Dok. VI Nr. 1. 

[4] Reformierte Gemeinde Gruiten, Heiratsregister 1874 Nr. 3, Taufregister 1876 Nr. 9 (beide Einträge enthalten den Zusatz „Holzschuhmacher“). Das sind die bisher frühesten Nachweise über die Familie Buschenhofen als Holzschuhmacher in Gruiten. Frühere Buschenhofen-Nachweise nennen einen anderen Beruf und auch einen anderen Wohnort als Höhländer: Taufregister 1842 Nr. 11, 4. Kind, 2. Sohn, Friedrich [gestorben 1888, Weber] , Vater Johann Buschenhofen, Weber, Am Scheuerchen; 1844 Nr. 17, 5. Kind, 3. Knabe, Carl [gestorben 1903, der erste Buschenhofen-Holzschuhmacher, hatte einen Sohn Paul, der 1875 im Alter v. 1 Monat gestorben ist, und einen Sohn Carl Paul, geb. 3.3.1876], Vater Johann Buschenhofen, Weber, im Offers; 1848 Nr. 7, 6. Kind, 4. Sohn, Wilhelm [gestorben 1898, der zweite Holzschuhmacher der Familie], Vater Johann Buschenhofen, Weber u. Totengräber, im Dorf Gruiten; 1852 Nr. 8, 7. Kind, 3. Tochter, Amalie [gestorben 1859], Vater Johann Buschenhoven [ohne Berufsbezeichnung], im Dorf Gruiten [Die älteren Kinder sind im Taufbuch nicht verzeichnet.]; Sterberegister 1840 Nr. 5, Heinrich Buschenhoven, Weber, Pillscheuer, 57 Jahre alt; 1845 Nr. 19, Wilhelm, Sohn des Webers Johann Buschenhofen [der 1848 getaufte Wilhelm war also der 2. Sohn dieses Namens]; 1858 Nr. 5, Johann Buschenhoven [Vater der o.a. Kinder], Weber, im Dorf, 52  Jahre alt, also geboren um 1806.

[5] Wie Anm. 4, Sterberegister 1898 Nr. 3 (Wilhelm B.), 1903 Nr. 17 (Carl/Karl). Beide Einträge enthalten die Berufsbezeichnung „Holzschuhmacher“, ebenso der Taufeintrag von Carls Sohn Carl Paul, 1876 (s. Anm. 4). 

[6] Angaben von Ernst Breidbach. 

[7] Archiv Breidbach, Band 10, S. 189 ff. (Text von Ernst Breidbach, geb. 1906. Er könnte als Kind die Blotschenkammer der Buschenhofens im Höhländer noch persönlich gesehen haben.)

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