Gruiten-Dorf in der Form, wie wir es aus den vergangenen 100 Jahren kennen, war erst im Entstehen begriffen, als mit dem Bau der reformierten Kirche begonnen wurde. Sie war nach der alten St.-Nikolaus-Kirche und dem Steingaden (Wehrturm) am Haus am Quall erst das dritte steinerne Gebäude im heutigen Dorfbereich und stand noch ziemlich einsam dort; fast alle Häuser, die heute den Dorfkern prägen, gab es damals noch nicht.

Am 1. Juni 1718 hatte das Consistorium (Presbyterium) den Anstoß gegeben, mit den Hofbesitzern uber vorhabenden bau eines Neuen Kirchhaußes und darzu anzufangenden collecte zu reden. Am 8. September d.J. wird das Protokollbuch präziser: Mit den Hofbesitzern solle über ihren Beitrag zum Bau der Kirche geredet werden. Nach einem üblichen Verteilungsschlüssel solle jeder seinen Anteil beisteuern, sodass eine Summe von 100 Reichstalern zusammenkommen würde. Außerdem solle geklärt werden, wer von ihnen willig ist, in andren Gemeinen zum collectiren außzugehen und ob sie bereit seien alle materialien zum vorhabenden bau freywillig und umbsonst hinzufahren.
Schon drei Tage später berichtet ein Protokoll davon, dass der meiste theil der beerbten [Hofbesitzer] sich vereiniget und beschloßen habe, in Gottes nahmen gegen kunfftiges Jahr ein Neues Kirchhauß etwaß größer und mit einem kleinen thurmlein darauf zu bauen. Auch über die Summe von 100 Reichstalern ist man sich einig geworden: consistorium und die meiste beerbten vereinigen sich und beschließen, daß die beerbten unserer Gemeine zum vorhabenden Neuen bau ad hundert Reichstaler sollen beitragen; und daß daruber die halbleute und pfächtere [Hofbewirtschafter, die nicht Eigentümer sind] nach belieben auch noch eine beysteuer darzu sollen beytragen. Aus diesem Protokoll erfahren wir auch, dass die Kirche gebaut werden soll, weil das Predigthaus nicht mehr gut in Schuss und vor allem zu klein ist. In den Worten von damals: unser Kirchhauß ist an denen tagen des Herrn, bettagen und sonsten an predigtagen oftmahlen viel zu klein für die menge der zuhorer, welche auß ettlichen benachbahrten Gemeinen hieher kommen … unser Kirchhauß … ist sehr baufellig und wir auch … kein glöcklein haben, umb der Gemeine an denen predigttagen ein zeichen der zusahmenkunft zu geben.
Am 28. Oktober 1718 lesen wir, dass die inzwischen vom Consistorium ernannten Baubevollmächtigten einen schriftlichen accord [Vertrag] eingegangen sind mit dem Maurer Joseph steinle auß Nobbenhoff, wegen brechen der steine im Grund und zu Heinhausen, und wegen aufmaurung der Kirche biß unterm Dach.
Auch wurde schon das Werkzeug zum Brechen der Steine vom Schmied hergestellt und mit dem Brechen der Steine begonnen, damit man für die Kollekten in den Nachbargemeinden etwas „vorweisen“ konnte, das die Ernsthaftigkeit des Bauvorhabens glaubhaft machte. Aber mit dem Bau wurde noch nicht begonnen. Zunächst musste weiteres Geld gesammelt werden, denn die 100 Reichstaler der Hofbesitzer und die Spenden der Nachbargemeinden reichten natürlich nicht aus. Welche Kreise die Kollekten zogen, zeigt folgendes Beispiel: Über den damals amtierenden Gruitener Prediger gab es Verbindungen zum Fürstentum Moers. Um dort Spenden sammeln zu dürfen, war aber die Erlaubnis des Königs in Preußen erforderlich. Also wurde über einflussreiche Mittelsmänner ein entsprechendes Gesuch an den König lanciert. Auch darüber befinden sich Unterlagen im Kirchenarchiv. Hier die Notiz auf der Rückseite des Entwurfs eines Briefes an einen Mittelsmann, der um die Weiterleitung des Gruitener Gesuchs an den König gebeten wurde:

Im Protokoll vom 7.6.1719 lesen wir dann über die Grundsteinlegung: Da am 5. Junij dieses 1719. Jahrs der Maurer Joseph steinle das fundament oder grundwerck gelegt am Neuen Kirchenbau, so habe ich prediger Joh. Jac. von Bergh in dem Nahmen des dreiEinigen Gottes, und unter anruffung seines segens, den ersten stein daran gelegt, meine tochter Albertina hat den zweiten stein, und meine Ehefrau den dritten stein daran gelegt.
Der Grundstein für die Gruitener „Kirche im Dorf“ war gelegt. Endlich sollte die Funktion des Predigthauses als Gotteshaus auf eine echte Kirche übergehen und die beengten Verhältnisse im Predigthaus, das ja seit seiner Errichtung 1682 auch als Schule und Wohnung für den Pastor und den Lehrer diente, verbessert werden.

Knapp zwei Monate nach der Grundsteinlegung wurde im Protokollbuch des Consistoriums notiert, dass bey den steinhaueren in der hahnenfort … hausteine zu den thuren und an den 4 ecken der vorhabenden neuen Kirchen bestellet und mit denselben accordiret [Einvernehmen erzielt worden ist] uber den preiß. Ende November 1719 wurden dann Verträge mit dem Baumeister Linsch aus Ratingen wegen des stockwercks und thurns, mit dem Leyendecker (Schiefer-Dachdecker) Gerhards aus Düsseldorf wegen bedeckung der Neuen Kirchen und thurns und mit Johann zum Heister wegen lieferung des eichenholtz, welches zur Gallery, stockwerck und thurns nöhtig sein wird, abgeschlossen.
Aber bis zum wirklichen Baubeginn sollte noch einige Zeit vergehen. Noch fehlte es an Geld. Am 21. Dezember 1719 beschloss das Consistorium deshalb, dass ein Kapital von 100 Reichstalern, das eigentlich für die Armenversorgung zweckgebunden war, zum bau der Neuen Kirchen erst vorgeschoßen und angewandt werden soll, so lange biß daß solches, wan nach gehaltener und geendigter collecte zum bau der Neuen Kirchen ein capital mögte verhoffentlich ubrig sei, daß dan denen armen wider konne refundiret werden. Man hoffte also, dass die Kollekten die Baukosten vollständig decken würden, damit der Vorschuss aus der Armenkasse wieder dorthin zurückgezahlt werden könnte.
Vom Baubeginn oder -fortschritt ist im Protokollbuch zunächst nichts zu lesen. Erst im März 1720 lässt der Abschluss eines Vertrages wegen lieferung der eisernen glaserrahmen mit den Brüdern Wimmershoff, die die Schmiede des Kircherhofs in Gruiten betreiben, vermuten, dass jetzt der Rohbau zumindest in Angriff genommen worden war. Um die Fensterrahmen und einige andere Anschaffungen bezahlen zu können, ist am 30. Mai d.J. im Protokollbuch noch einmal davon die Rede, dass auf ein „Armenkapital“ von 60 Reichstalern zurückgegriffen wurde. Wenige Tage danach erfahren wir aus den Aufzeichnungen, dass der Pastor in Düsseldorf Spenden für den Bau der Kirche gesammelt hat, aber vom Consistorium beauftragt wurde, nun auch solche in Köln und dem benachbarten Mülheim zu sammeln.
Derweil hatte sich der Vertrag mit dem Baumeister aus Ratingen zerschlagen, der Baumeister war außgeblieben, heißt es im Protokollbuch. Ersatzweise wurde nun ein Vertrag wegen des stockwercks und thurnleins mit einem Einheimischen geschlossen, nämlich mit dem Müller Peter Hill, der offenbar nicht nur Müller, sondern auch Fachmann für den Dach- und Turmbau aus Holz war. Im September 1720 war der Bau dann offenbar soweit fortgeschritten, dass mit dem plister Zacharias schneider von dusseldorff, ein schriftlicher accord aufgerichtet wurde wegen plisterung unserer kirchen, und anstreichung des gewolbs mit Leinfarbe. Der Plisterer hatte also das Kirchengewölbe fertigzustellen und anzustreichen. Ein halbes Jahr später ist wieder einmal die Finanzierung des Baus Thema im Consistorium. Dem zur nächsten Synode abgeordneten Ältesten und dem Pastor wird aufgegeben, sich dort zu erkundigen, durch welche mittel man solche seumige, eigensinnige, und widerliche [widerspenstige] Gemeinsgliederen, darzu anhalten solle, umb sich andren gemeinsgliederen, pro quota in allem gleich zu stellen. Es gab also Schwierigkeiten, das Geld von einigen zur Beteiligung an den Baukosten Verpflichteten auch wirklich einzutreiben.
Zu dieser Zeit hatte die Kirche noch keinen Fußboden, keine Fensterscheiben und vor allem noch keine Kanzel, denn erst am 30. Mai 1721 berichtet das Protokollbuch darüber, dass Verträge dafür so wol mit dem steinhauer zu Erkrath, wegen ettlicher 100 fuß hausteine zu machen in der Kirchen zu legen, mit dem glaßmacher zu Grefrath, der alle gläser in der Kirchen zu machen, alß auch mit dem schnitzler wegen einer neuen cantzel aufgesetzt wurden. Der Schnitzler Hendrick Kipp erhielt dann im Juli 1721 auch den Auftrag, die stuhl und bencke unten in der Kirchen fur die beerbten [Hofbesitzer] zu machen. Beschlossen wurde auch, dass für die Bänke ein jeder beerbter die bretter und arbeit zahlen solle.

Inzwischen war der Pastor erneut auf Spendensammeltour gegangen, diesmal nach Duisburg, Mülheim/Ruhr und Kettwig, aber das Geld reichte noch immer nicht. Deshalb wurden weitere Kollekten an den Kirchthuren in schußelen beschlossen und bey nechstkunfftiger haußvisitation … bey erwachsenen Jungen leuten in der Gemeine. Außerdem gaben die Hofbesitzer dem Consistorium Vollmacht zur aufnehmung so viel gelder alß zur bezahlung der durch den Neuen Kirchenbau gemachten schulden nöhtig.
Die im Archiv vorhandenen Kollektenbücher liefern einen noch besseren Eindruck vom Umfang der Spendensammlungen. Fritz Breidbach hat errechnet, dass in der Zeit vom 20. März 1719 bis Ende 1723 insgesamt 2018 Reichstaler eingekommen waren, deren Aufbringung 267 Reichstaler Unkosten verursachten. Und Pastor Vömel hat dazu geschrieben, dass nicht nur in der Nachbarschaft, sondern auch am ganzen Niederrhein, in Westfalen und in Holland gesammelt wurde. Auch Gaben von Behörden gingen ein, z.B. vom Magistrat zu Soest, von den Städten Bielefeld, Iserlohn und Plettenberg, von der Herrschaft Berleburg, von der Weberzunft zu Biedenkopf, von der Schuhmacherzunft zu Marburg, von den Zünften der Schuster, der Leinweber und Bäcker, vom Schneider- und Krämeramt zu Bielefeld, vom Bürgermeister zu Hardenberg und von der Universität Duisburg. … Selbst lutherische Gemeinden hielten ihre Gaben nicht zurück, wie z.B. Altena, Breckerfeld, Wetter und viele andere.
Feierlich, aber noch ohne Glockengeläut, weil für eine Glocke im Türmchen das Geld fehlte, wurde die noch nicht vollständig bezahlte Kirche am 5. Oktober 1721 eingeweiht – weit mehr als zwei Jahre nach der Grundsteinlegung.
Lothar Weller, 3.3.2020 – Titelfoto (von mir, 2020): „AEDIFICATA ANNO 1720“, Inschrift im Steinbogen über der linken Eingangstür der reformierten Kirche.
Anmerkung: Dies ist die Zusammenfassung der in den Gemeindebriefen der reformierten Kirchengemeinde Gruiten-Schöller Nr. 1/2019 und 1/2020 erschienen Beiträge von mir. LINK zur Fortsetzung.
Link: RPonline, 11.2.2020 *
4. März 2020 at 9:58
Lieber Heimatfreund,
alles geschah vor 300 Jahren.
Auch damals gab es schon beim Bau die auch heute noch bekannten Schwierigkeiten.
Und auch das liebe Geld war damals schon knapp, um größere Vorhaben zu finanzieren.
Das fehlende Glöckchen erinnert mich an die kath. Kirche in Trills (erbaut 1876):
Auch hier wurde der Turm mangels Finanzmasse erst viele Jahre später aufgesetzt (1890).
Aus Hochdahl grüßt herzlich
Herbert Bander