Am 26. August 1930 war es soweit. Deutschlands erster moderner Oberleitungsbus ging auf Jungfernfahrt. Das Titelfoto, das erst kürzlich wiederentdeckt worden ist, zeigt ihn auf der Bahnstraße in Gruiten. 22 Jahre lang verband die Trolleybuslinie – mit einer Unterbrechung gegen Ende des 2. Weltkriegs – die Stadt Mettmann mit dem Reichsbahnhof Gruiten. Mitte Mai 1952 wurde der Betrieb eingestellt.
Wer die Fahrstrecke auf Gruitener Gebiet abgeht, findet im Dorf und auf der Bahnstraße auch heute noch Zeugnisse dieses Verkehrsmittels, nämlich Anker-Rosetten, an denen die Verspannung der Stromversorgung für den Bus an Gebäuden verankert war. Eine davon ist neben dem Seitenportal der katholischen Kirche gut zu erkennen (Abb. unten).

Am Wendepunkt des Trolleybusses war eine besonders aufwändige Verspannung erforderlich (in Gruiten: am Bahnhof, siehe Fotos weiter unten), aber – wie die folgende Zeichnung von 1930 zeigt[1] – auch in Kurven.

Schnell war er nicht, der Trolleybus. Für die 5.770 m lange Strecke zwischen den beiden Endpunkten brauchte er nach dem Fahrplan 23 Minuten, das entspricht einer Durchschnittsgeschwindigkeit von rd. 15 km/h. Das lag vor allem an den vielen Haltestellen, die im Abstand von durchschnittlich 550 m eingerichtet waren, damit Fahrgäste unterwegs zu- und aussteigen konnten. Neun Hin- und Rückfahrten pro Tag waren üblich, zwei am frühen Morgen, der Rest nachmittags und abends.


Zum letzten Bus, dem „Lumpensammler“, der eine halbe Stunde vor Mitternacht vom Gruitener Bahnhof nach Mettmann fuhr, hat Ernst Breidbach folgende Anekdote festgehalten: Gerne saßen zu dieser Zeit noch Mettmanner in der Gaststätte zum Schwanen. Der Wirt, der Schwaner, hing alsdann ein rotes Petroleumlämpchen vor die Tür. Das besagte dem Fahrer, dass noch Gäste mitfahren wollten. Er ging in den Schwanen, trank auch noch ein Gläschen oder ein spendiertes dazu, dann sagte er: „So, nu kommt Jungs, wir fahren“. An einem Abend entdeckte er, als er den Wagen in die Halle gefahren hatte, den Gruitener Schullehrer schlafend auf dem hinteren Sitz. Kurz entschlossen fuhr er zurück nach Gruiten, setzte den Lehrer im Dorf vor seiner Wohnung ab, fuhr noch bis zum Bahnhof, weil er sonst nirgends wenden konnte, und dann wieder zurück nach Mettmann.[2]

Auch ein musikalisches Andenken an den O-Bus ist überliefert. Der Mettmanner Lehrer Fritz Uhrmeister dichtete – wohl auf die Melodie von Tri-tra trullala – diesen Text: Wir fahren mit dem Trolleybus von Mettmann bis nach Gruiten. Der Mann, der immer vorne sitzt, der fängt dann an zu tüten. Tri-tra Trolleybus von Mettmann bis nach Gruiten. Und haben wir nicht Geld genug, fahrn wir nur bis Potherbruch. Und wenn ich dann zur Schule muss, dann fahr allein, mein Trolleybus. Tri-tra Trolleybus.


Dieses Lied enthält trotz seiner lustigen Melodie auch einen ernsten Aspekt, nämlich den Fahrpreis. 30 Pfennig für eine einfache Fahrt oder 3 Mark für eine Wochenkarte waren damals nicht gerade billig. Für den Berufsverkehr hatte die Linie deshalb zunächst wenig Bedeutung, weil viele Arbeiter des Fahrpreises wegen nicht auf den Bus umstiegen, sondern weiterhin zu Fuß gingen oder mit dem Fahrrad zur Arbeit fuhren.

Erst nach etlichen Jahren wurde die Linie einigermaßen rentabel. In den Kriegsjahren 1942/43 stieg die Zahl der jährlichen Fahrgäste auf etwa 400.000. Nach dem Krieg ging es mit kräftigen Steigerungen auf über 700.000 pro Jahr weiter. Trotzdem hatte der O-Bus keine Zukunft, denn seine Strecke hätte mit hohem Aufwand instandgesetzt werden müssen. Außerdem konnte die Linie nicht über Gruiten hinaus verlängert werden. Am 17.5.1952 wurde auf Dieselbusse umgestellt. Und schon ein Jahr später konnte man dann mit der neuen Buslinie durchgehend von Mettmann über Gruiten bis nach Haan fahren – und natürlich auch umgekehrt.
Lothar Weller, 31.1.2019; erweitert 14.1.2021 (Zeichnung, Anm. 1), 15.4.2023 (Foto Trolleybus im Schnee). Abbildungen: Gruitener Archive (7), davon Archiv Breidbach (Trolleybus-Wendekreis), Archiv Ahrweiler (Trolleybus am Bahnhof), Sammlg. S. Abraham (Titelfoto), Sammlg. A. Bleidt (Fahrkarte); Anker-Rosette an der kath. Kirche: von mir; Zeichnung zu Anm. 1: Archiv St. Nikolaus Gruiten, Akte 48.
Anmerkung: Dies ist – auch wegen neuer Fundstücke – die erweiterte Fassung eines Artikels von mir, der im „Gruitener Herbstgruß“ von Petra Raabe (1. Ausgabe Sept. bis Nov. 2012) abgedruckt worden ist.
Links: www.historisches-dorf-gruiten.de/index_station.htm (dort „Trolley Bus“ anklicken) * WZonline, 3.5.2012 * RPonline, 5.5.2012
[1] Ob die Verspannung an dieser Stelle der Trolleybusstrecke nach dieser Zeichnung realisiert wurde, ist nicht sicher. Möglicherweise sind letztlich zwei Ankerpunkte weniger gebraucht worden.
[2] Gruiten – Perle im Niederbergischen Land, 50 Jahre Bürger- und Verkehrs-Verein Gruiten e.V. 1929-1979, S. 42 f. – Eine ähnliche Geschichte hat Helmut Kreil über die Haltestelle an der Gaststätte Tappert am Potherbruch erzählt: Wenn der letzte Trolleybus am Abend von Gruiten nach Mettmann fuhr, hupte er bei Tappert, dann wussten die Gäste, das ist der Lumpensammler. Hatte es der Bus nicht ganz so eilig, kam es auch vor, dass Schaffner Karl Menn ausstieg und in die Gaststube ging und rief: Mot he noch ei’ner mett? […] die Erklärung für so viel Kundendienst: Natürlich standen für Karl Menn Bier und Korn bereit. (Quelle: Aule Mettmanner (Hg.), Streifzug durch die Mettmanner Stadtgeschichte mit Helmut Kreil, nacherzählt von Michael Schaffers, 3. Auflage, Dezember 2008, S. 77.)
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